Verein gegen die Diskriminierung von Hund und Halter e.V.

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Schreiben an Professor Dr. Stefan Schmidtchen


Auszüge aus BILD Hamburg, 22. 4. 00 - (v. Daniel Böcking)

Die Herrchen von Kampfhunden - oft blicken wir in finstere Gesichter... Was treibt Menschen dazu, sich eine beißwütige Bestie zu halten?

Professor Dr. Stefan Schmidtchen (57), Psychologisches Institut der Uni Hamburg: "Hunde dienen oft als Ersatzbefriedigung. So, wie ein einsamer Mensch einen Schmusehund mag, benutzen manche Leute Kampfhunde, um sich mächtig und stark zu fühlen."

Anerkennung durch einen Hund? "Das trifft häufig zu. Der Wunsch nach Anerkennung ist unterbewusst bei jedem vorhanden. Im Wilden Westen liefen die Cowboys mit Revolvern herum, um zu beeindrucken. Heute sind solche Hunde die legale Waffe."

Also versuchen Kampfhundhalter nur, sich ein Image aufzubauen? "Genau. Ganz simpel: Harte Jungs brauchen harte Hunde."

Viele Halter sagen aber: "Mein Hund ist ein ganz Lieber!" "Das liegt daran, dass sie sich in einem Zwiespalt befinden: Ihr innerer Antrieb verlangt nach diesem Machtsymbol. Doch das Gewissen sagt: Du musst diesen Aggressionsdrang unterdrücken, beherrschen."

Und wenn der Kampfhund tatsächlich friedlich ist? "Das Argument, dass der Kampfhund ein friedlicher sportlicher Partner ist, lehne ich ab. dann soll man sich einen harmloseren Hund zulegen. Jeder weiss - zumindest unterbewusst - dass er mit so einem Tier seine Mitmenschen verängstigt."





Hier beginnt das Schreiben.

Professor Dr. Stefan Schmidtchen
Psychologisches Institut 2
Von-Melle-Park 5
20146 Hamburg 27. 4. 00

Betr.: "Kampfhund-Besitzer - was sind das für Menschen?" BILD, 22. 4. 00

Sehr geehrter Herr Dr. Schmidtchen,
bis vor kurzem war ich noch ein ganz normaler Mensch. Als Tierfreundin und aktive Tierschützerin nutze ich auch meine berufliche Energie und Qualifikation seit Jahren, um unermüdlich für ein menschlicheres Miteinander zu werben; für eine humane Welt, die eben dieses Adjektiv nur verdient, wenn endlich auch das Mitgeschöpf Tier die Achtung erhält, die wir jedem Lebewesen schuldig sind.

Als ich mich im Dezember vergangenen Jahres entschloss, ein Hundebaby aufzunehmen, war ich auch noch ein ganz normaler Mensch, eine von über 4 Millionen, denen es Glück bedeutet, ihr Leben mit einem Hund zu verbringen. Doch nun bin ich über Nacht zum gemeingefährlichen "Kampfhund"-Besitzer mutiert, meine kleine Hundedame ist nämlich ein Dobermann. Und wenn's nach BILD geht, gehört sie damit zu einer der "15 gefährlichsten Kampfhunderassen". (Der Dobermann steht zwar weltweit nirgendwo auf einer "Kampfhund"-Liste, aber Fakten waren für BILD wohl noch nie ein Argument.) So ist es denn auch wenig erstaunlich, dass die Anti-"Kampfhund"-Aktion der BILD ganz ohne Daten, Statistiken und Expertenmeinungen auskommt und einzig mit Stammtisch-Weisheiten genährt wird. Zur letzten Kategorie muss ich leider auch Ihre Äußerungen zählen. Peinlich, peinlich, diese Zlatko-Psychologie, bei der vom Professor nur noch das Schmidtchen übrigbleibt.

Welche Erfahrung, welches Fachwissen über Hunde qualifiziert Sie eigentlich, der BILD als Interviewpartner zu diesem Thema zur Verfügung zu stehen? Schon Ihre Antwort zum Image des Kampfhundbesitzers: "Ganz simpel: Harte Jungs brauchen harte Hunde" beantwortet meine Frage und läßt mich nur noch spekulieren, ob Sie vielleicht der Nachbar des Redakteurs sind oder möglicherweise der Einzige waren, der sich für diesen Mist hergeben mochte. Dass Sie von Hunden nichts verstehen, stellt vielleicht nur einen weit verbreiteten Mangel an Allgemeinbildung dar. Dass sie als Psychologe aber bereit sind, in knappen Worten tausende von Menschen pauschal als psychisch instabile Persönlichkeiten darzustellen, geht mir entschieden zu weit. Einem Psychologie-Professor der Hamburger Universität kann ich zumuten, sich der Verantwortung bewusst zu sein, die er mit öffentlichen Äußerungen übernimmt. Sie hingegen haben einfach billige Vorurteile bedient und dabei Menschen beleidigt, abqualifiziert und ihnen möglicherweise Schaden zugefügt. Menschen, die Sie nicht kennen und von denen Sie nichts wissen, außer dass diese Menschen einen Hund bestimmter Rasse lieben. Dieses verantwortungslose Vorgehen ist ein Missbrauch Ihrer Stellung an einer staatlichen Institution.

Welches Rechtsempfinden verbirgt sich eigentlich hinter dem Versuch, nicht mehr den tatsächlichen Täter (sei es nun Hund oder Mensch) zu be- und verurteilen, sondern gleich alle anderen mit, die möglicherweise, irgendwie und irgendwann eine Gefahr oder auch nur Beängstigung darstellen könnten. Ihr Fachgebiet ist die Kinderpsychologie, daher denke ich, dass Sie die Zahlen wesentlich besser kennen als ich. Wieviele Täter im Bereich sexueller Missbrauch von Kindern sind als Kind selbst missbraucht worden - 70, 80, 90%? Würde man hier ähnlich argumentieren wie in der "Kampfhund"-Debatte, wäre es vernünftig, jedes missbrauchte Kind sofort vorbeugend wegzusperren - die Gefahr, dass es später selbst zum Täter wird, ist schließlich groß.

Dass Rassismus, solange er sich "nur" gegen Tiere richtet, offenbar gesellschaftsfähig ist, scheint mir gefährlich genug. Doch jeder sollte wissen, dass sich derart inhumane Denkansätze nie auf einen Bereich der Gesellschaft beschränken werden. Jeder Versuch, nicht das Individuum zu beurteilen, sondern rassen- und/oder gruppenspezifische Aburteilungen vorzunehmen, bereitet erfahrungsgemäß den Boden für faschistoide Gedanken und Lösungen. "Diese Viecher sollte man alle einschläfern, und die Halter am besten gleich mit". Dieser Satz, gesagt am Donnerstag 27. 4. 00 - unkommentiert und unkritisiert - im Verlauf der Spielhandlung einer Fernsehserie zeigt vielleicht genau diesen "Lösungsansatz", dem das aufgeheizte "gesunde Volksempfinden" möglicherweise schon jetzt freundlich zunickt.

Ich muss Ihnen leider vorwerfen, dass Sie eine gefährliche Massenhysterie unterstützen, die jeder rationalen Grundlage entbehrt und einzig und allein dem offenbar nie endenden Bedürfnis des Menschen nach Feindbildern entspringt. Hätten Sie sich je für die tatsächliche Gefahr durch Hunde interessiert, hätten Sie sich je über statistische Erhebungen auf diesem Gebiet informiert, dann müssten Sie sich schämen.

Ich will Ihnen gern die Fakten nennen, die Sie eigentlich kennen sollten, bevor Sie sich zum Thema äußern:
Sämtliche Experten - Tierschützer, Verhaltensforscher und Tierärzte - lehnen eine Rassenliste als völlig ungeeignet zur Klassifizierung von gefährlichen Hunden ab. Diese Expertenmeinung wird von allen verfügbaren Daten und Statistiken gestützt. Der Beiß-Statistik des Deutschen Städtetages zufolge werden die meisten Übergriffe gegen Menschen oder andere Hunde mit 33% von Mischlingshunden verursacht, dicht gefolgt vom Deutschen Schäferhund. Kommissar Rex ist vielleicht unfehlbar, doch seine Artgenossen sind immerhin für über 27% der Beißereien verantwortlich. (Dass er sich trotzdem auf keiner schwarzen Liste befindet, kann daran liegen, dass bei ca. 30.000 Schäferhundwelpen jährlich sich einfach eine zu große Zahl von Wählern bzw. Lesern - um es hundgerecht auszudrücken - ans Bein gepinkelt fühlen könnte...)

Die traditionelle "Kampfhundliste" hingegen, die in Bayern und Brandenburg Gesetz ist, führt Rassen auf, die in weit geringerem Maße auffällig werden (Pitbull 4,4%, Bullterrier und Staffordshire 2,3%) oder überhaupt nicht in der Beißstatistik auftauchen, weil sie selten gehalten werden (z.B. Tosa Inu mit ca. 4 Exemplaren in ganz Deutschland) oder gar nicht als Rasse existieren (Bandog)!

Demzufolge staunt weder der Fachmann und kann sich auch der Laie nicht wundern, dass Frankreich und Holland mit existierendem "Kampfhund"-Verbot keinen Rückgang der Beißzwischenfälle verzeichnen können. Die meisten Unfälle mit Hunden passieren innerhalb der Familie - wenn beispielsweise das Kind in den Doggenkäfig klettert (die Dogge ist trotz ihrer Größe und etlicher schwerer Zwischenfälle übrigens in keiner Verbotsliste zu finden); dann kommen Zwischenfälle, bei denen Menschen sich in eine Hunderauferei einmischen.

Der Phobien-Klassiker "harmloser Mensch geht über die Straße und wird unvermittelt vom Kampfhund angefallen" kommt tausenmal seltener vor als "Frau kommt aus der U-Bahn und wird von Mann überfallen". Im ganzen Bundesgebiet kommen pro Jahr zwischen 1 und 4 Menschen durch Hunde zu Tode, demgegenüber steht allein in Hamburg eine Zahl von 125 Menschen, die 1997 von einem "Artgenossen" getötet wurden. Ebenfalls 1997 verzeichnete Hamburg 3324 Fälle schwerer und gefährlicher Körperverletzung von Mensch zu Mensch. Hundebisse (überwiegend nicht schwerwiegend) gab es hingegen im gleichen Zeitraum genau 163 - das sind nicht einmal 5% der menschlichen Übergriffe! Berücksichtigt man dazu noch die 20 Verkehrstoten, die unsere "freie Fahrt für freie Bürger"- Mentalität jeden Tag auf deutschen Straßen fordert, kann ich schwer einsehen, warum ausgerechnet einige tausend Hunde Glück und Gesundheit "unserer Kinder" gefährden sollten.

Doch gegen alle Statistiken und Erfahrungen sind Sie sich Ihrer Sache offenbar ganz sicher, denn es kann wohl nicht sein, was nicht sein darf. Menschen, die behaupten, ihr mediengemachter "Kampfhund" sei ein ganz Lieber, die befinden sich angeblich in einem Zwiespalt zwischen "innerem Antrieb" und "Gewissen".

Und wer behauptet, dass er einfach einen "friedlichen, sportlichen Partner" sucht, der soll sich eben "einen harmloseren Hund" zulegen. Was ist ein "harmloserer Hund"? Ein Schäferhund? Einer, dem man alle Zähne gezogen hat? Ein Chihuahua, dessen Kopf man bequem mit einer Hand zerdrücken kann? Wer entscheidet über die Gefährlichkeit von Hunden? Sie?

Wir leben in einer gefährlichen Welt, und die stetig zunehmenden Ängste der Menschen sichern auch Ihr täglich Brot. Wer die tatsächlichen und ernsthaften Gefahren des Straßen-, Schienen-, Wasser- und Luftverkehrs nicht als gottgegeben hinnehmen mag, wer Angst hat, Opfer eines menschlichen Überfalls zu werden, dem wird normalerweise dringend angeraten, sich therapieren zu lassen. Gegen durchaus realistische Ängste existiert eine ganze Therapie-Industrie, von Kursen der Fluggesellschaften bis hin zu Angst-Kliniken, in denen verängstigte Frauen wieder lernen sollen, abends allein in der U-Bahn zu fahren. (Um eine Ihrer Aussage mal sinngemäß in diesen Zusammenhang zu stellen: Jeder Mann weiß - zumindest unterbewusst - dass er seine weiblichen Mitmenschen abends an einsamen Orten verängstigt. Also Ausgehverbot für alle Männer?)

Angst ist zwar da, aber total "out". "In" dagegen sind bungee-jumping, wildwasser-rafting und survival-camps. "Warmduscher" und Weicheier werden verachtet. Einzig die Angst vor Hunden wird kultiviert. Da darf sich dann auch schon mal der grimmig dreinblickende Zeitgenosse mit der Möbelpackerstatur darüber ausweinen, dass er sich angeblich meinetwegen (bzw. meiner Hündin wegen) ins Höschen macht und lieber die Straßenseite wechselt. Mehr noch: Die Angst vor Hunden wird gar, unter Mitarbeit von Menschen wie Ihnen, zum Ausgangspunkt der Gesetzgebung und zur Norm des psychisch Gesunden erklärt.

Ist es ein gesundes Verhalten, wenn ein Kleinkind beim Anblick eines jungen zarten Hundes, der mit einem Bällchen im Maul und brav an der Leine weit entfernt von ihm geführt wird, in Schreikrämpfe ausbricht?

Ich nehme die interessanterweise weit verbreitete Hunde-Phobie durchaus ernst, kenne ich doch diese Angst sehr gut aus eigener Erfahrung. (Aufgrund Ihrer Äußerungen vermute ich, dass auch Sie selbst unter dieser Angstvariante leiden.) Ich bin als Kleinkind zweimal gebissen worden - nicht schwer, aber ausreichend erschreckend. (Übrigens ausgerechnet von einem ach soo süßen Pudelchen und einem angeblich soo harmlosen Cocker-Spaniel.) Doch ich habe ich mich später (offenbar ganz im Gegensatz zu Ihnen) sehr bewusst mit diesen Ängsten auseinandergesetzt. Ich habe genau das getan, was jeder Angst-Therapeut empfiehlt: Mich den angstauslösenden Situationen gestellt und mich zudem umfassend über Wesen, Verhalten, Körpersprache und Mimik von Hunden informiert.

Hunde sind weder Plüschspielzeug noch blutgierige Bestien. Sie sind individuelle Persönlichkeiten, die Glück empfinden, aber auch Hunger, Schmerz und Angst spüren. Sie müssen sozialisiert und erzogen werden, sonst besteht möglicherweise Gefahr für die Umwelt - das ist beim Menschen nicht anders. Gesetzliche Grundlagen gegen tatsächlich ihre Umwelt gefährdende Hunde und Hundehalter vorzugehen, gibt es ausreichend und seit langem. Paradoxerweise sind diese Gesetze selten konsequent angewendet worden. Für die Versäumnisse der Behörden sollen nun verantwortungsbewusste Hundebesitzer und ihre gut sozialisierten Tiere büßen.

Wer ein Lebewesen leichtfertig "zum Abschuss freigibt", weil die diffusen Ängste mancher Menschen ihm Grund genug scheinen, sollte sich Gedanken über die gesellschaftlichen Konsequenzen solcher pauschalisierten Verdammungen machen. Es gibt genug Menschen, denen auch Schwarze, ausländische Jugendliche oder geistig Behinderte "unheimlich" sind. Soll das eigene Unbehagen wieder zur Grundlage der Daseinsberechtigung Anderer werden? Potentielle Feindbilder gibt es genug. Oder glauben Sie ernsthaft - trotz aller geschichtlichen Erfahrungen - dass sich eine Massen-Hysterie in Wohlgefallen auflöst, dass die Freude an Hexenjagden aufhört, wenn endlich der letzte "Kampfhund" ausgerottet sein wird?

Wer ernsthaft Ängsten begegnen und Gefahren minimieren will, sollte alles dafür tun, das verträgliche Zusammenleben Mensch/Hund zu fördern. Neben falscher oder mangelnder Erziehung, können Hunde gefährlich werden, wenn sie ungenügend sozialisiert sind, also kaum Kontakt zu Menschen und anderen Hunden haben, weil sie beispielsweise ihr Leben größtenteils im Zwinger verbringen müssen. Das sind dann genau die beiden Rottweiler, die vor einigen Tagen den kleinen türkischen Jungen angegriffen haben.

Aber genau diese gefährliche und dem sozialen Wesen des Hundes total widersprechende Art der Haltung will die BILD-Aktion doch erreichen. Die ohnehin sehr begrenzte Auslauf- und Spielmöglichkeit für Hamburger Hunde soll nun für einige Tiere noch weiter eingeschränkt, bzw. komplett behindert werden.

Dabei brauchen wir im Gegenteil mehr Auslauf- und Kontaktmöglichkeiten für unsere Tiere. Glückliche und soziale Hunde sind keine Gefahr. Und wir brauchen Informationen über das Wesen von Hunden. Schon Kinder sollten in den ersten Schulklassen ein Grundwissen über Bedürfnisse und Körpersprache der Hunde erwerben. Denn allein durch Mißinterpretation hundlicher Verhaltensweisen und daraus resultierendem Schreien, Treten, Weglaufen etc. können gerade Kinder durchaus zu Schaden kommen.

Auch in diesem Zusammenhang ist die BILD-Kampagne unverantwortlich und gefährlich, oder würden Sie einem Kind vielleicht raten, panisch auf die Straße zu laufen, sobald in der Ferne ein Auto brummt?

Mein Dober-Mädchen hat unser Familienleben sehr bereichert - und sie ist das Entzücken der ganzen Umgebung. Ich habe mir ganz bewusst einen Hund dieser liebenswerten Rasse gewählt.

Ganz simpel: Große, schöne Mädchen brauchen große, schöne Hunde.


Mit freundlichen Grüßen
Eileen Heerdegen




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