Verein gegen die Diskriminierung von Hund und Halter e.V.

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Schuld und Sühne
Zum Volkan-Prozess



30.01.2001

von Susann van der Squarra


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"Individuelle Gerechtigkeit für Hunde lehne ich ab". So Schleswig-Holsteins Innenminister Buss in einer Fernsehdiskussion im Juli letzten Jahres anlässlich der kurz zuvor erlassenen neuen Hundeverordnungen der meisten deutschen Bundesländer. Die Länder hatten den Tod des 6-jährigen Volkan zum Anlass genommen, eine seit mindestens 10 Jahren immer wieder mediengerecht aufbereitete Forderung zum Verbot bestimmter Hunderassen endlich durchzusetzen. Ganz nach dem eingangs zitierten Motto des Herrn Buss, wurde das Fehlverhalten von Individuen (in diesem Fall Mensch und Hund) in einer, allen praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechenden, bisher in unserem Rechtsstaat unbekannten Weise, zur Grundlage einer pauschalen Vorverurteilung und sogar Bestrafung individuell unschuldiger Hunde und ihrer Halter.

Soviel zum Thema Gerechtigkeit.

Völlig friedliche Hunde spezieller Rassen und deren unbescholtene Halter wurden monatelang pressemäßig hingerichtet, und von Politikern bis zu Psychologen ließ so mancher Hardliner wenig Zweifel daran, dass er eigentlich schon den Besitz eines "Kampfhundes" für einen Ausdruck krimineller Energie hält.

Als am 17. Januar in Hamburg das Urteil gegen Ibrahim K. und Silja W. gesprochen wurde, war also, angesichts der hysterischen Entwicklung nach dem Tod des kleinen Jungen, von vornherein davon auszugehen, dass jedes Urteil sowohl von den Medien als auch von der "öffentlichen Meinung" als viel zu milde angegriffen werden würde.

Wegen fahrlässiger Tötung verurteilte das Gericht Ibrahim K. zu dreieinhalb Jahren Haft und Silja W. zu einem Jahr Jugendstrafe mit Bewährung - Staatsanwalt Allerbeck hatte auf (vorsätzliche) Körperverletzung mit Todesfolge und achteinhalb Jahre Haft für Ibrahim K. sowie eine Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten für Silja W. plädiert.

Ein kollektiver Aufschrei nach dem Urteil stellte erstmals seit 6 Monaten eine seltsame Allianz zwischen Anti-Hunde-Liga und einigen Hundefreunden her. Allen voran die Initiative "Hamburger Aufschrei" des Ehepaares Schmidt - Irene Schmidt ist berühmt-berüchtigt für ihre Auftritte in Funk und Fernsehen, in denen sie (zumeist im Namen der Hamburger Elternkammer) in geradezu manischer Weise von den Sägezähnen der Pitbulls (einmal zugebissen - Arm ab) und ähnlich unheilvollen Rassemerkmalen phantasiert.
Wie BILD reagieren würde, war ohnehin klar; und selbst in der Hamburger Morgenpost, die sich gelegentlich durch intelligente Berichte vom Anti-Hunde-Mainstream abhob, durfte der Hamburg-Redaktions-Chef Immo Hoppe die "Sau rauslassen" und nutzte die Gelegenheit, sich zur "Ausrottung von Rassen" zu bekennen.
Doch auch aus der gegenüberliegenden Ecke, aus den Reihen der Hamburger Tierbefreier, kam harsche Kritik am Urteil, und wie man hört, war auch so mancher anonyme Hundefreund entsetzt.

Ein (zu) mildes Urteil?

Einig sind sich dabei alle, dass der Tod des kleinen Volkan mit einem so kurzen Gefängnisaufenthalt nicht gesühnt werden könne. Richtig ist, dass es sowieso überhaupt keine Wiedergutmachung für den Tod eines Menschen geben kann; dass gewaltsames Sterben, zumal eines kleinen Kindes, eine unfassbare Tragödie ist, die jeden normal empfindenden Menschen natürlich emotional stark berührt. Oder zumindest stark berühren sollte, denn leider nimmt die Öffentlichkeit von ähnlichen Tragödien normalerweise kaum Notiz. Keiner der selbsternannten Rächer des kleinen Volkan hat beispielsweise gegen ein Urteil protestiert, dass nur 5 Tage später, ebenfalls in Hamburg, gefällt wurde, und mit der gleichen Haftstrafe - dreieinhalb Jahre - den grauenvollen Tod eines 2 Monate alten Babys strafte. In diesem Fall hatte der verurteilte Vater sogar selbst Hand angelegt und dem Säugling allein 21 Rippenbrüche zugefügt. Man könnte fast zynisch vermuten, dass diese Tat in jeder Hinsicht eine winzige Randnotiz blieb, weil ohnehin sehr viel mehr Kinder von ihren eigenen Eltern als von Hunden getötet werden. Die grausame Normalität scheint einfach unspannend.

Über 100 Tote, darunter etliche kleine Kinder, beim Zugunglück in Eschede - schnell vergessen. Dass hier Menschenleben möglicherweise dem finanziellen Vorteil der Deutschen Bahn AG geopfert wurden - Schwamm drüber.
Alle 28 Stunden stirbt ein Kind in Deutschland an den Folgen eines Verkehrsunfalls - würde oben genannter Immo Hoppe auch für diese Kinder eine Träne übrig haben, würden auch diese Tragödien seinen Wunsch nach "Ausrottung" beflügeln, gäbe es hierzulande wohl weder Autos noch Inhaber von Führerscheinen. Und schließlich - würde Irene Schmidt, die stets ein Mäppchen mit Horrorfotos verunstalteter "Kampfhund"opfer mit sich herumträgt, zusätzlich die Abbildungen der über 49.000 unfallverletzten Kinder eines jeden Jahres in ihre Sammlung einfügen wollen, wäre sie längst an der erdrückenden Last menschlicher Übeltaten zusammengebrochen.

Solch selektive Trauer sollte misstrauisch machen. Volkans Eltern, die engsten Freunde und nahen Angehörigen haben jedes moralische Recht, verzweifelt zu sein, wenn der schreckliche Tod des kleinen Jungen quasi ungesühnt bleibt. Doch alle anderen sollten sich klar darüber sein, welche Folgen es haben könnte, wenn man in diesem Fall mit zweierlei Maß misst. Gerade die Hundefreunde haben am eigenen Leib erfahren, welch ein Leid es bedeutet, wenn allgemein gültige Regeln unserer Rechtsstaatlichkeit willkürlich einer Hysterie geopfert werden. Gerade die Hundefreunde sollten sich sehr genau überlegen, ob sie wirklich der Meinung sind, dass eine Tragödie, die durch Hunde verursacht wurde, weitaus schlimmer zu bewerten ist als alles andere.

Unser Rechtssystem ist nicht auf das Vergeltungssystem des antiken Rechts "Auge um Auge, Zahn um Zahn" aufgebaut. Zur Bestrafung eines Verursachers gibt es klare Grundlagen, die sich unter anderem auf den Vorsatz beziehen und der Tatsache Rechnung tragen, dass Unfälle, aber auch fahrlässiges Verhalten in der Natur menschlicher Unzulänglichkeit begründet sind, also letztendlich jedem passieren können, und nicht mit bewussten Verbrechen gleichgesetzt werden können.
Es gibt viele Fälle, in denen es tatsächlich gute Gründe gibt, darüber wütend zu sein, dass die "Fahrlässigkeit" recht großzügig ausgelegt wurde. Beispielsweise bei den bereits zitierten 21 Rippenbrüchen, die zumindest ein juristischer Laie eigentlich nicht wirklich für reine Fahrlässigkeit halten würde. Und es gibt viele Fälle, in denen man sich nur noch verzweifelt fragen kann, wie wenig ein Menschenleben wert ist. Etwa in Guben, wo drei Afrikaner von 11 Skinheads durch die Stadt gejagt wurden, bis ein junger Algerier zu Tode kam. Diese 11 Rechtsradikalen hatten sehr bewusst und aus niedriger Gesinnung gehandelt; noch während des Prozesses waren sie dreist genug, das Grab ihres Opfers zu schänden. Trotzdem wurden nur 3 von ihnen überhaupt verurteilt - zu Jugendstrafen zwischen 2 und 3 Jahren, und das auch nur, weil sie bereits vorbestraft waren.

Wer zu diesen Urteilen den Mund hält, sollte schon begründen können, warum er das Verhalten des Ibrahim K. für noch verwerflicher hält. Sicher, Ibrahim K. ist mehrfach vorbestraft und wahrscheinlich kein sonderlich sympathischer Mensch. Doch wer seinem Baby 21 Mal die Rippen bricht, ist bestimmt auch kein Herzchen, und über die 11 Skinheads braucht man eh' nicht zu spekulieren.

Zur Beweislage

Bleibt die Frage: Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Der Staatsanwalt versuchte, den angeblichen Vorsatz mit einer Behauptung zu belegen, die Hundefreunden Kulleraugen beschert: "Nicht die Hunderasse ist gefährlich." Die Reizschwelle bei American Staffordshire Terriern, Menschen anzugreifen, sei normalerweise sehr hoch! - Diese erstaunlichen Worte aus dem Munde des Staatsanwalts entsprechen zwar allen wissenschaftlichen Gutachten, widersprechen aber vollkommen den geltenden Hundeverordnungen und etlichen Gerichtsurteilen, in denen unbesehen die Rechtmäßigkeit von Rasselisten bestätigt wurde. Dass hier kurzerhand so getan wurde, als gäbe es die restriktiven Rasselisten nicht, als existiere die "unwiderruflich vermutete Gefährlichkeit" nicht, das ist in der Tat ein bemerkenswerter juristischer Kunstgriff, der aber leider niemandem auffiel. Wenn es um Hunde geht, wird offenbar alles so hingebogen, bis es passt. In diesem Fall musste der Staatsanwalt der Hunderasse einfach hochgradige Ungefährlichkeit bescheinigen, denn nur daraus ergab sich ja zwingend, dass die Angeklagten ihre genetisch gutartigen Tiere vorsätzlich "scharf gemacht" hatten.

Mit der gleichen Argumentation hätte man übrigens eigentlich auch die Eltern oder Lehrer der minderjährigen Skinheads in Guben anklagen und verurteilen müssen. Oder etwa die Sozialarbeiter, die zwei Hamburger Jugendlichen aus einer "betreuten Wohnung" soviel freie Hand ließen, dass diese ihre Freizeit dazu nutzten, einen Tabakhändler wegen ein paar Mark zu erstechen. Doch auf diese Idee käme seltsamerweise niemand.

Doch zurück zum Prozess: Sogar der Staatsanwalt räumte in seinem Plädoyer ein, dass im Prozess nicht genau nachgewiesen werden konnte, wie die Hunde trainiert worden seien. Von vielen Gerüchten im Vorfeld blieb während der Verhandlungstage tatsächlich kaum etwas Konkretes übrig. Viele der Vorwürfe waren so lächerlich, dass man als Hundehalter in Gefahr war, sich beim Kopfschütteln ein schweres Schleudertrauma zuzuziehen. Die Hunde wurden "gezwungen", sich in einen Stock zu verbeißen - man weiß doch selbst, wie ungern Hunde so etwas tun! - und dann in die Höhe gezogen. Mit dem Werfen von Stöcken und Bällen brachte man sie dazu, über eine Mauer zu springen. Silja W. soll ihrer Hündin mal ins Ohr gebissen haben (übrigens als "artgerechte" Bestrafung von vielen Hundeexperten empfohlen). Und als Höhepunkt die Aussage eines Tierarztes: "Die beiden Hunde hatten eine imposante Bemuskelung, die nur von stetiger Bewegung stammen kann." - Das macht mit einem Schlag Zehntausende von Hundehaltern zur gemeingefährlichen Risikogruppe, die ihrem Hund mehr zumuten als mal eben schnell Pipi und Haufen vor der Tür - und die ihr Tier damit wohl angeblich zur Bestie abrichten.

Freilich gab es auch ernsthafte Aussagen, die Ibrahim K. vorwerfen, seinen Hund "Zeus" durch Tritte misshandelt zu haben. Auch das "Training" mit schweren Eisenketten legt die Vermutung nahe, dass hier ein Fall von Tierquälerei vorliegt. Aber, was genau den entscheidenden Vorwurf angeht, die Hunde seien bewusst "scharf gemacht" worden, blieb das im Prozess durch Zeugenaussagen Belegte weit hinter den Vorgängen zurück, die sich überall in Deutschland auf den Hundesportplätzen ganz biederer Vereine beim sogenannten Schutzdienst-Training abspielen.

Der Rest der Vorwürfe blieb als Medienhetze auf der Strecke. Beispielhaft ist hier das ebenso ehrgeizige wie skrupellose Geschmier eines Klaus Brinkbäumer im "Spiegel" vom 3. Juli 2000 zu erwähnen. Der Autor gab "ganz cool" vor, im Besitz von Insiderinformationen zu sein. Er erwähnte nicht nur Details, die in den Aussagen während des Prozesses nie auftauchten, wie etwa, dass Zeus beim Training einen Autoreifen um den Hals getragen habe, der mit einer Eisenkette an einem Motorroller mit angezogener Bremse befestigt war, auf dem Ibrahim K. saß. Er wusste auch genau Bescheid über die verabreichten Anabolika und plauderte über Einzelheiten der Karriere von Zeus als Hundekämpfer: dass der Hund vor jedem Kampf ein paar Tage ohne Futter im dunklen Keller eingesperrt wurde, dass er seinem Besitzer pro Kampf bis zu 6000 Mark Wettgelder brachte, dass Ibrahim K. sich zu den Hundekämpfen seines Zeus mit Zuhältern von der Reeperbahn verabredete.

Im Prozess hingegen wurde zum Thema Hundekämpfe lapidar festgestellt: Aufgrund der Obduktionsergebnisse ist eindeutig, dass weder Zeus noch Silja W.'s Hündin Gipsy jemals an Hundekämpfen teilgenommen haben; es wären sonst nämlich verräterische Narben zurückgeblieben!

Um nochmals auf die Feststellung von Staatsanwalt Allerbeck zurück zu kommen: Es konnte während des Prozesses nicht genau bewiesen werden, wie die Hunde trainiert wurden. Es fehlte also der Beweis, dass Zeus und Gipsy absichtlich und systematisch "scharf gemacht" wurden. Damit fehlt auch der Beweis eines Vorsatzes, der Voraussetzung für ein härteres Urteil gewesen wäre.

2 Jahre auf Bewährung für eine Tote und 5 Schwerverletzte

Vergleicht man diesen Fall mit einem Urteil vom Dezember 1998, muss man die Strafe für Ibrahim K. sogar als vergleichweise hart bezeichnen: Damals war ein 20-jähriger Autofahrer in eine Menschengruppe gerast, es gab eine Tote und 5 Schwerverletzte. Trotz regennasser Fahrbahn war der Mann mit seinem 212-PS-Jaguar (der zudem fahruntüchtig war - beiden Hinterreifen fehlte an der Innenseite das Profil) die Hamburger Stresemannstraße mit stark überhöhter Geschwindigkeit entlanggerast, und war schließlich nach mehrfachen Spurwechseln und riskantem Rechtsüberholen in ein Bus-Wartehäuschen geknallt. Zwei der Opfer wurden dabei 18 Meter durch die Luft geschleudert. Mit seiner verantwortungslosen Fahrweise trotz abgefahrener Reifen und glatter Fahrbahn hatte dieser Angeklagte doch wohl sehr bewusst die Gefährdung seiner Mitmenschen billigend in Kauf genommen. Tod und schwerste Verletzungen seiner Opfer wurden aber hier lediglich mit einer Bewährungsstrafe von 2 Jahren "gesühnt".

Man kann also sicher darüber diskutieren, ob Verantwortungslosigkeit nicht generell allzu milde bestraft wird, ob nicht viel zu häufig Nachsicht und Verständnis eher den Tätern als den Opfern zuteil wird. Aber Unrecht wird nicht durch neues Unrecht beseitigt, und Tragödien werden nicht ungeschehen gemacht, wenn man versucht, die Rechtslage "nach Gusto" umzufunktionieren.

Genau das aber ist unzähligen Hundehaltern bereits bezüglich der neuen Verordnungen widerfahren. Ein tragischer Einzelfall wurde zum Anlass genommen, die seit Jahren andauernden Hetzkampagnen gegen sogenannte Kampfhunde endlich in restriktive Verordnungen umzusetzen. Der schreckliche Tod eines kleinen Jungen war nicht der Grund für diffamatorische Verordnungen - wer uns das Glauben machen will, versucht einzig und allein, unzulässige, wissenschaftlich unhaltbare Pauschalurteile zu rechtfertigen.

Offenbar hat so mancher sehr persönliche oder auch politische Gründe, das Urteil gegen Ibrahim K. als zu milde anzusehen. Und es scheint fast so, als ob der arme Volkan dabei niemanden interessiert. Die Beweggründe der Anti-Hunde-Liga sind allzu durchsichtig - jedenfalls dürfte es schwer werden, zu erklären, warum der Tod eines Sechjährigen so wesentlich grässlicher sein sollte, als der Tod eines 2 Monate alten Babys durch die Hand seines Vaters. Volkan hat es wahrlich nicht verdient, auch seinen Eltern und Freunden ist nicht damit geholfen, dass dieses furchtbare Schicksal als Grundlage für vieltausendfaches Unrecht missbraucht wird.

Ibrahim K.: Schuld an der Hundeverordnung?


Wenn Hundefreunde diese Sichtweise unterstützen begeben sie sich auf gefährliches Glatteis. Hamburger "Tierbefreier" haben eigens eine neue Initiative namens "Faust und Pfote" gegründet, mit dem erklärten Ziel, gegen das Urteil vorzugehen. Auch "Faust und Pfote" lässt wenig Spielraum zur Beantwortung der Frage, worum es ihnen geht: "Ibrahim K haben wir es zu verdanken, dass Hunde von verantwortungsvollen HalterInnen beschlagnahmt wurden..."

Diese Sichtweise ist so stammtischgerecht wie blöd. Und absolut kontraproduktiv in einer Zeit, wo in Hamburg massenhaft Hunde "eingezogen" und interniert werden - sogar Hunde, denen mehrere Tierärzte attestiert haben, dass es sich nicht um gelistete Tiere, sondern um Mischlinge anderer Abstammung handelt. Glauben diese Leute denn, dass die Leinen und Maulkörbe wie durch Zauberhand fallen werden, wenn Ibrahim K. härter bestraft wird? Glauben sie denn, dass es den Hunden nutzen kann, wenn man die Hysterie weiter am Kochen hält? Nein, liebe Freunde: Das Gegenteil wird geschehen. Wenn es nicht nur möglich sein wird, in diesem Land ganze Hunderassen aufgrund von Einzelfällen zu verteufeln, wenn es sogar möglich sein wird, ein gesondertes, höheres Strafmaß für Zwischenfälle mit Hunden durchzusetzen, dann braucht ihr hinterher gar nicht zu schreien, wenn es auch euch trifft.

Angesichts der Sachlage gar zu behaupten: "Ibrahim K. hat Volkan getötet, es hätte genauso gut eine Schusswaffe sein können" (Presseerklärung der Tierbefreier/Faust und Pfote), offenbart nicht nur eine erschreckende Rechtsauffassung (Welches Urteil hätten's denn gern, wenn durch Tierbefreier entkommene Nerze einen Verkehrsunfall mit tödlichen Folgen verursachen?); einen Hund mit einer Waffe zu vergleichen - das kannten wir bisher nur von der Gegenseite. Z.B. von Wolfgang Poggendorf, Chef des Hamburger Tierschutzvereins, der Pitbulls bereits pauschal mit Pistolen gleichsetzte und seine Forderung nach permanentem Maulkorbzwang entsprechend launig begründete: "wenn man die vorne zulötet, passiert nichts mehr".

Eine wahrhaft unheilige Allianz, und langsam fragt man sich wirklich, wer eigentlich alles - sei es bewusst oder "nur" aus Dummheit - an der Zementierung des negativen Image unserer Hunde mitarbeitet.

Wie auch immer - Fakt ist, dass die für viele Hundehalter unerträgliche aktuelle Situation Folge einer Verordnung ist, für die Bürgermeister Runde und Sozialsenatorin Roth verantwortlich zeichnen. (Vor 10 Jahren gab es unter dem damaligen Sozialsenator Runde übrigens schon einmal eine Rasseliste, die aber per Gerichtsbeschluss gekippt wurde.) Die Situation ist aber vor allem Folge einer jahrelangen Medienkampagne, die ihren letzten Höhepunkt vor Volkans Tod mit einer BILD-Kampagne im Frühjahr 2000 fand, mit der wochenlang marktschreierisch das "Verbot der 15 gefährlichsten Kamphunderassen" gefordert wurde. Sie ist auch Folge der verantwortungslosen Aktionen angeblicher Tierschützer : Der Deutsche Tierschutzbund fordert seit längerem das Verbot der Pitbulls; Hamburgs "oberster Tierschützer" Wolfgang Poggendorf hat gar seit Herbst 1999 eine widerliche Schmutzkampagne gegen die angeblich "unberechenbaren" Pitbulls geführt, sie (s.o.) mit Waffen verglichen und schon lange vor den Verordnungen generellen Maulkorb- und Leinenzwang für diese Hunde gefordert. Alle diese Kampagnen, alle diese Einzelpersonen und Vereine sind verantwortlich für das hysterische Klima, in dem die aktuellen Hundeverordungen gedeihen konnten.

Vielleicht möchte mancher Hundehalter nicht gern darauf aufmerksam gemacht werden, dass er den Ernst der Lage viel zu spät erkannt hat. Dass er erst aktiv wurde, als der ganze Schmutz nicht mehr anonym blieb, sondern über ihm und seinem Hund ausgekübelt wurde. Wer jetzt darüber hinaus, wie die "Tierbefreier" bzw. die BI "Faust und Pfote" primitive Schuldzuweisungen trifft (der hat uns das eingebrockt...) statt durch eine konsequente Aufklärungspolitik dazu beizutragen, das Klima zugunsten unserer Hunde zu verändern, der kann sich eigentlich kaum wundern, wenn er selbst Zielscheibe ähnlich kurzsichtiger Angriffe wird.

Hauen, Spucken, Treten

Wir haben doch längst ein politisches Klima, das Solidarität unter Hundehaltern anscheinend unmöglich macht. Hauen, Spucken, Treten ist angesagt. Dass die Prügel nur verbal ausgeteilt werden, macht sie nicht unbedingt weniger schmerzhaft.

In Deutschland gibt es wahrscheinlich mindestens 15 bis 20 Millionen Menschen, die selbst mit Hunden zusammenleben oder in einem sehr engen Verhältnis zu Hundehaltern stehen. Man sollte also, rein rechnerisch, meinen, dass wir doch eigentlich eine sehr starke Lobby sind, an der die Parteien schon aus Gründen des Eigennutzes und der Opportunität nicht vorbeikommen können und mit der sie sich nicht frontal anlegen würden.

Doch wir erleben das genaue Gegenteil. Mehr als ein halbes Jahr nach dem Tod des kleinen Volkan sind die blödsinnigsten und grausamsten Hundeverordnungen immer noch in Kraft. In Hamburg warten im Lager Harburg bereits mehr als 200 Hunde auf die Todesspritze. Triumphierend verkünden Politiker und Medien, dass man kaum noch "Kampfhunde" auf der Straße sieht. Wo sie geblieben sind, will anscheinend niemand wissen. In Brandenburg müssen selbst Chihuahuas in der Straßenbahn ein Maulkörbchen tragen, und sogar auf den ausgewiesenen Hundefreiflächen haben dort Hundehalter sämtlicher Rassen und Mischungen nur die Wahl, ihren Hund entweder ohne Leine oder ohne Maulkorb laufen zu lassen. Beides zusammen ist nicht gestattet. Bällchenspiele sind also nur noch im eigenen Garten möglich, sofern man denn einen hat. In Berlin wird gerade jetzt ein allgemeiner Leinenzwang durchgesetzt. Bußgeld für einen Jogger, der seinen Dackel unangeleint neben sich laufen ließ!

Und was passiert? Rücken die Berliner Hundehalter etwa angesichts der sie alle gleichermaßen treffenden Maßnahmen enger zusammen und formieren gemeinsamen Widerstand? Nein, ganz im Gegenteil, wie man in den Leserbriefseiten der Berliner Zeitungen mit Schaudern verfolgen kann: Wer einen Dackel, Pudel oder Jack-Russel-Terrier hat, schimpft auf die "Kampfhund"-Besitzer, "die uns das alles eingebrockt haben mit ihren gefährlichen Beißmaschinen". Und "Kampfhund"-Besitzer verbergen nicht ihre Schadenfreude, dass jetzt auch die Besitzer kleiner Hunde ihre "giftigen Tölen" ständig an der Leine führen müssen. "Gleiches Recht für alle." - Sie vergessen dabei nur, dass es sich ja keineswegs um gleiches Recht, sondern lediglich um gleiches Unrecht handelt. Das ist ein wesentlicher Unterschied.

Schon 1999, als in den meisten Bundesländern Rasselisten für die Politiker noch kein Thema waren, preschte der Interessenverband der Schäferhundzüchter und -halter vor: Er forderte ein Zucht- und Einfuhrverbot für Pitbulls, die angeblich durch ihre Gefährlichkeit alle anständigen Hunde kompromittieren! Nun gut, scheinen jetzt einige "Kampfhund"-Besitzer zu meinen. Endlich können wir uns rächen! Und sie fragen, warum nicht auch der Schäferhund, der doch alle bekannten Beißstatistiken anführt, in die Rasselisten der "gefährlichen Hunde" aufgenommen wird. Und was ist mit dem Rottweiler, dem Dobermann?... Gute Idee, antworten die Politiker, wir denken gern darüber nach, die Rassenlisten noch zu erweitern. - Hatte irgendein "Kampfhund"-Besitzer denn wirklich geglaubt, er könne sich und seinem Tier helfen, indem er andere Hunderassen anschwärzt und in Misskredit bringt?

Hunde sind generell keine gefährlichen Waffen, sondern individuelle intelligente Lebewesen. Lernfähig und erziehbar. Quer durch alle Rassen. Jeder Hund kann (genau wie jeder Mensch) misshandelt und fehlgeleitet werden, sich zum Angreifer oder Angstbeißer entwickeln. Und selbst ein friedlicher und gut erzogener Hund kann durch Verkettung unglücklicher Umstände einen Unfall verursachen, im Extremfall mit tödlichen Folgen für einen Menschen. Dieses "Restrisiko" trägt auch jeder von uns selbst in sich. Wollte man dieses Restrisiko 100%-ig eliminieren, müsste man konsequenterweiser die gesamte Tierart ausrotten. Das wäre Vielen offenbar ganz recht (auch wenn sich die Frage nach der Gefährlichkeit angesichts des Zahlenverhältnisses menschlicher/hundlicher Verursacher anders stellen sollte). Alle anderen sollten konsequent daran arbeiten, vermeidbare Risiken zu minimieren, aber auch Hunden endlich individuelle Gerechtigkeit zu garantieren, und das Verhalten einzelner Individuen niemals zur pauschalen Be- und Verurteilung anderer Individuen missbrauchen zu lassen.

Das einzige, was uns und unseren Hunden langfristig hilft, ist die Rückkehr zur Normalität. Eine Normalität, die nur nach tatsächlichem Verhalten unterscheidet. Eine Normalität, in der ein Verbrechen, ein Fehlverhalten oder Unfall nur nach geltendem Recht behandelt wird, und bei der es völlig unerheblich ist, ob ein Hund beteiligt war oder nicht. Eine Normalität, in der Hunden ihr ganz normales Lebensrecht zugestanden wird.

Vielleicht hätte Volkan sogar überleben können, wäre diese Normalität nicht damals schon durch verantwortungslose Panikmache längst zerstört gewesen. Warum haben beispielsweise mehrere Lehrer, offenbar stumm und starr vor Panik, eine Viertelstunde lang den tödlichen Angriffen der beiden Hunde auf den Jungen zugesehen, ohne einzugreifen? Selbst bei vorsichtiger Abwägung der Gefahr hätte man mit kühlem Kopf doch bemerken müssen, dass Ibrahim K., der versuchte, dem Kind zu helfen, zwar leicht verletzt, aber nicht angegriffen wurde. Auch zwei Passanten, die beherzt eingriffen, blieben unverletzt. (Nach Aussage eines dieser Helfer trug Zeus übrigens Halsband und Leine, wäre also möglicherweise von mehreren Personen gleichzeitig durchaus zu "bändigen" gewesen.) Doch die übermächtige Angst vor den "Killermaschinen" hat offenbar jede weitere Hilfe verhindert.

Lang geschürte Panik und Unkenntnis im Umgang mit Hunden - eine fatale Situation. Diejenigen, die diese Situation durch intensive Kampagnen heraufbeschworen haben, sollten mal anfangen, beizeiten über persönliche Schuld nachzudenken.

© 2001 Susann van der Squarra

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