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Stellungnahme zum Kommentar der Landesregierung zur Entscheidung des OVG Schleswig vom 29.05.01 in Sachen Gefahrhundeverordnung


Rechtsanwältin Marion Oberender

Mit der Landesregierung besteht Einigkeit dahingehend, dass Gefahrenabwehr zum Schutz von Rechtsgütern, insbesondere zum Schutz von menschlichem Leben und Gesundheit unverzichtbar ist. Schon aus genau diesem Grunde ist die Gefahrhundeverordnung mit dem Normenkontrollverfahren angegriffen worden.

Die Gefahrhundeverordnung ist nicht geeignet, dieser Aufgabe des Landes gerecht zu werden. Der Verordnungsgeber hat offensichtlich nur unzureichende Vorstellungen davon, was gefährliche Hunde sind und wie den von diesen ausgehenden Risiken entgegen gewirkt werden kann, was unbestritten als notwendig anzusehen ist.

Zum besseren Verständnis einige Anmerkungen:

Unterschiedliche Kriterien bestimmen das Verhalten eines Hundes, nämlich vererbte, angeborene Wesensmerkmale und erworbene Wesensmerkmale.

Der Hund ist ein Rudeltier. Der gesunde Hund entwickelt sich in seinem Rudel entsprechend den Voraussetzungen und Bedingungen, die er in diesem Rudel vorfindet. In jedem Rudel gibt es eine Hackordnung um die Rangfolge. In der Sozialisierungsphase lernt der Hund gemäß der Qualität seiner spezifischen Anlagen seinen von allen Mitgliedern des Rudels anerkannten Platz zu finden. Im Rudel unter Artgenossen regeln die Tiere des Rudels, voran das Muttertier bzw. das Leittier die Eingliederung in das Rudel und Zuordnung der Rangfolge innerhalb des Rudels. Lebt der Hund beim Menschen, muss der Rudelgenosse Mensch diese Funktion übernehmen. Hier trägt der Mensch Verantwortung, er muss sich mit dem Thema artgerechte und sozial verträgliche Haltung von Hunden auseinandersetzen. In der Regel funktioniert dieser Vorgang in soweit, dass der Hund sich umfeldverträglich entwickelt. Man spricht von einem gut sozialisierten Hund.

Zeigt der Hund Störungen in seinem Verhalten, bis hin zum gefährlichen Hund, kann vorausgesetzt werden, dass bei der Aufzucht, Erziehung und Sozialisierung Defizite aufgetreten sind, die soweit möglich korrigiert werden müssen. Hunde, die sich auf Grund genetischer Defekte nicht rudelfähig erweisen und darüber hinaus nachgewiesener Weise nicht sozialisierbar sind, müssen unter besonderen Bedingungen, besser gar nicht, gehalten werden. Eine Tötung wirklich gefährlicher Hunde ist nicht auszuschließen. Diese Aussage ist nicht rassespezifisch auszulegen, denn sie kann für jeden Hund jeder Rasse und Größe Anwendung finden.

Falsch ist bereits nach allen Ausführungen Ernst zu nehmender Wissenschaftler die Behauptung des Landes, unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.01.2000, dass die dort aufgelisteten Hundegruppen ein Potenzial zur Erzeugung des "gefährlichen" Hundes darstellen, die einen wegen ihrer Masse, die anderen ihres Mutes wegen."

Ob einzelne Hunde zu den gefährlichen zu rechnen sind, hängt ganz entscheidend von ihrem Verhältnis zu ihren Menschen, beziehungsweise von diesen Menschen ab, insbesondere auch von ihrer Sozialisation und Integration in die menschliche Gesellschaft.

In vielfältigen Gerichtsentscheidungen sind die schriftlichen Äußerungen der Gutachter in ihren wissenschaftlichen Werken aus dem Zusammenhang gerissen worden mit dem Ergebnis, dass sich die Sache genau gegenteilig zu dem darstellte, was die Gutachter wirklich gesagt hatten. Das OVG Schleswig hat sich der wissenschaftlichen Literatur mit großer Sorgfalt und Sachverstand gewidmet und ist so zu seiner Entscheidung vom 29.05.01 gekommen.

Alle Hunde, gleich welcher Rasse können auch von Personen gehalten werden, die nicht die Gewähr für ein gefahrloses Verhalten der Tiere bieten. Die Risiken, die sich im Alltag viel häufiger verwirklichen als Beißvorfälle sind beispielsweise Unfälle dadurch, dass Hunde unbeaufsichtigt auf die Straße laufen und vor ein Auto geraten und ähnliche Vorfälle.

Nach den Beißstatistiken, soweit es solche überhaupt gibt, führen bei den Unfällen mit Kindern Schäferhunde und Mischlinge, davon gibt es auch die größte Anzahl von Hunden überhaupt. Diese kommen in der Gefahrhundeverordnung nicht vor. Vielmehr hat man unreflektiert Rasselisten aus bayerischen Quellen abgeschrieben. Teilweise sind dabei Hunde aufgeführt worden, die in Deutschland kaum noch vorkommen, so der Tosa Inu. Eine realistische Einschätzung der hier einzudämmenden Gefahr hat man seitens der Landesregierung offenbar nicht vorgenommen. An dieser Stelle soll nicht darauf verzichtet werden, den bayerischen Verwaltungsgerichtshof einmal wörtlich zu zitieren. In dieser viel gerühmten Entscheidung heißt es:

"Dafür, dass der Verordnungsgeber möglicherweise ähnlich gefährliche Hunderassen wie etwa Deutsche Dogge, Dobermann, Rottweiler, Boxer oder der deutsche Schäferhund nicht in die Kampfhundeliste aufgenommen hat, kann der Verordnungsgeber vertretbare Gründe anführen." Und diese vertretbaren Gründe sind dann folgende:

" Die Verordnung auf weitere, nicht in die Verordnung aufgenommene Hunde auszudehnen hätte schon wegen der Zahl dieser Hunde einen übermäßig hohen, kaum zu leistenden Verwaltungsaufwand bedeutet."

Angeblich geht es um Gefahrenabwehr. Tatsächlich hat das Land in seinen Schriftsätzen im Normenkontrollverfahren einfach die Formulierung des Bayrischen VGH abgeschrieben, die Vielzahl dieser Hunde sei ein Hindernis bei der Gefahrenabwehr.

Es stellt sich die Frage, ob die Landesregierung hiermit zum Ausdruck bringen will, dass sie bewusst eine viel größere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung hinnehmen will aufgrund der Vielzahl dieser nicht erfassten Hunde, weil sie sich dem Verwaltungsaufwand nicht gewachsen fühlt. Möglicherweise müsste die Landesregierung dann einmal über eine innere Umstrukturierung nachdenken. Irgend etwas scheint hier falsch zu sein. Wir reden doch über Gefahrenabwehr, oder? Über Rasselisten wird der Bevölkerung eine Scheingefahr suggeriert, der mit einer Scheinsicherheit begegnet wird. Die Zusammenstellung der "Rasselisten" ist völlig willkürlich erfolgt.

Bei der Problematik gefährlicher Hunde handelt es sich um ein vielschichtiges Problem, welches nicht durch eine pauschalisierende Betrachtungsweise gelöst werden kann. Das populistische Etikett "Kampfhunde" sowie Rasselisten sind kein brauchbarer Lösungsansatz. Gerichte und Behörden werden sich an den rasseneutralen Begriff des gefährlichen Hundes orientieren müssen, und dürfen dabei vor allem auch den dazu gehörigen Menschen nicht vergessen.

Interessanterweise räumt das Land ein, dass es keine verlässlichen Erfahrungswerte über Beißvorfälle mit Hunden hat, die es seiner Verordnung zugrunde hätte legen können. Entsprechend willkürlich sind auch die Regelungen geschaffen worden. Das Land hat bisher nicht klarzustellen vermocht, welche sachlich richtigen und nachvollziehbaren Kriterien es seiner Verordnung zugrunde gelegt hat.

Auch eine Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.01.2000 führt nicht weiter. Hier handelt es sich um eine Entscheidung im steuerlichen Bereich, für die andere Grundsätze gelten als für den Bereich der Gefahrenabwehr. Dem Rechtsnormgeber im Bereich der Gefahrenabwehr einen Experimentierfreiraum von neun Jahren einzuräumen, ist nicht nur sträflich leichtsinnig sondern lebensgefährlich. Neun Jahre lang, und von diesem Zeitraum spricht das Bundesverwaltungsgericht, mit einer Gefahr herum zu experimentieren anstatt Maßnahmen zu ergreifen, mit denen dieser Gefahr adäquat entgegengetreten werden kann, ist unverantwortlich.

Die Experimentierfreiheit besteht im übrigen nur so lange, wie keine gefestigten wissenschaftlichen Ergebnisse vorliegen. Dies ist jedoch im Fall der Gefahrhundeverordnung längst der Fall. Alle seriösen Wissenschaftler und Fachleute der Praxis kommen zu derselben Aussage, dass Rasselisten kein geeigneter Anknüpfungspunkt für Maßnahmen der Gefahrenabwehr sind. Damit ist ein Experimentierfreiraum des Landes nicht gegeben. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen vor und sind dem Land bekannt. Es geht nicht an, dass Minister und hochrangige Beamte ihre eigenen emotional bedingten Vorurteile über diese setzen. Die Beschäftigung mit einseitig populärwissenschaftlicher Literatur kann die ernsthafte Auseinandersetzung mit fundierten wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema nicht ersetzen.

Die Argumentation des Landes, dass bestimmte Rassen in der Bevölkerung eine größere Akzeptanz genießen als die sogenannten Kampfhunderassen ( und deshalb nicht so "gefährlich" sind), ist nicht nachzuvollziehen. Es ist nicht erkennbar, inwieweit die Gefahr, die von einem Hund ausgehen kann, dadurch geringer werden kann, dass seine Rasse in der Bevölkerung stärker akzeptiert wird als die eines anderen Hundes, der einer anderen Rasse angehört. Selbstverständlich ist die Angst von Teilen der Bevölkerung vor Hunden, auch vor Listenhunden ernst zu nehmen. Begründet ist sie aber nicht dadurch, dass diese Hunde bestimmten Rassen angehören, sondern allenfalls dadurch, wie eine unverantwortliche Panik und Stimmung machende Presseberichterstattung mit dem Thema im letzten Jahr umgegangen ist. Die Hunde können nichts dafür. Es wird immer Hundehalter geben, die Hunde missbrauchen. Es nützt auch nichts daran anzuknüpfen, dass bestimmte Rassen von bestimmten Leuten, die überhaupt keinen Hund haben sollten als Statussymbol oder Drohmittel eingesetzt werden können oder vermehrt eingesetzt werden. Die Erfahrungen in anderen Ländern, insbesondere Frankreich zeigen, dass diese Personen auf andere Hunderassen zurückgreifen und das Problem sich nur verlagert, aber nicht gelöst wird.

Kein Tier ist vollkommen berechenbar. Dies lässt sich auch auf das Säugegetier "Mensch" ausdehnen, das auch nicht in letzter Konsequenz berechenbar ist. Ich kann nicht ausschließen, dass mein Nachbar möglicherweise ohne es zu wissen an einem Gehirntumor erkrankt ist und plötzlich eines Tages anfängt Amok zu laufen. Trotzdem sperre ich ihn nicht rein vorsorglich in eine Nervenheilanstalt ein. Sinnvolle, effektive Gefahrenabwehr kann nur bedeuten, die Risiken auf ein Minimum zu reduzieren ohne den gesunden Menschenverstand und die Vernunft außer Acht zu lassen.

Wir alle wollen Regelungen, die effektiv dem Schutz der Menschen dienen. Die Regelungen der Hundeverordnung über Rasselisten sind jedoch nicht geeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen, nämlich Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Schutz der Menschen vor wirklich gefährlichen Hunden.

Die Landesregierung befürchtet, sie könne die Bevölkerung nach der Entscheidung des OVG Schleswig nicht mehr präventiv, sprich vorbeugend vor Gefahren, die von Hunden ausgehen können, schützen? Mit ihren Rasselisten konnte sie das noch nie. Ihre Vorstellungen sind es, die an der Realität vorbeigehen.

Aber es wäre ganz einfach zu regeln. Wie wäre es mit einer Hundeverordnung, in der in § 1 Satz 1 Folgendes steht: "In der Öffentlichkeit besteht eine allgemeine Aufsichtpflicht für alle Hunde!" ?

Rechtsanwältin Marion Oberender



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