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Zur Frage der besonderen Gefährlichkeit von Hunden auf Grund der Zugehörigkeit zu bestimmten Rassen


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Arbeitspapier


Copyright:A.Univ.Prof. Dr. Irene Stur

 

von A.Univ.Prof. Dr. Irene Stur

Institut für Tierzucht und Genetik

der Veterinärmedizinischen Universität  Wien

 

LITERATURÜBERSICHT

 

 

phänotypische Merkmalsbildung  

Die individuelle phänotypische Merkmalsbildung erfolgt auf der Basis von Wech­selwirkungen zwischen Genotyp und Umwelt. Die Heritabilität ist ein Maß für den Anteil, den der Genotyp an der phänotypischen Merkmalsausprägung ausmacht. Merkmale mit niedriger Heritabilität werden durch Umwelteinflüsse stark modifiziert und lassen sich züchterisch nur in geringem Ausmaß bearbeiten, Merkmale mit hoher Heritabilität sind durch Umwelteinflüsse nur geringfügig zu verändern und lassen sich im allgemeinen züchterisch gut bearbeiten (SCHLEGER und STUR, 1986). Die züchterische Problematik von niedrig heritablen Merkmalen liegt unter anderem darin, daß  einerseits die Beurteilung des Genotyps beim Einzeltier und andererseits die Erfassung der genetischen Varianz in einer Zuchtpopulation, die die Voraussetzung für die Selektion ist, nur unter streng standardisierten Umweltbedingungen möglich ist. Da bei Hunden die übliche Haltungsform die indviduelle Einzelhaltung darstellt, kann man ganz allgemein nicht davon ausgehen, daß die für die genetische Beurteilung eines Einzeltieres bzw. für die Erfassung der genetischen Varianz als Voraussetzung für effektive Selektionsmaßnahmen bei niedrig heritablen Merkmalen notwendige Standardisierbarkeit der Umwelt gegeben ist.

 

 

Rassebegriff

Eine Rasse ist eine Gruppe von Individuen innerhalb einer Art, die sich in bestimmten Merkmalen von anderen Individuengruppen unterscheiden und diese Merkmalsva­riationen vererben (WIESNER und RIBBECK, 1978)). Die häufigsten Erscheinungsbilder in­nerhalb der Rasse stellen die Norm, den Rassestandard, dar (COMBERG, 1971). Zwischen den Rassen herrscht im allgemeinen eine diskontinuierliche Variation in Bezug auf die rassebestim­menden Merkmale - das heißt, daß Tiere mit extremen Merkmalswerten einer Rasse immer noch außerhalb der Normvariation einer anderen Rasse liegen.

Innerhalb jeder Rasse liegt für alle Merkmale eine genetische bzw. phänotypische Varianz vor, deren Ausmaß für jedes Merkmal unterschiedlich ist und die von der Populationsgröße, vom Inzuchtniveau der Population und vom Selektionsdruck, dem jedes Merkmal ausgesetzt ist, abhängt.

 

Domestikation und Rassenbildung

Infolge der Domestikation kommt es zu einer Änderung des Selektionsdrucks von der natürlichen Selektion, der die Wildpopulation ausgesetzt ist, zur künstlichen Selektion durch den Menschen. Entsprechend den unterschiedlichen Interessen, die der Mensch an den Haustieren hat, kommt es zum Entstehen verschiedener Rassen.

 

 

Rasseentstehung beim Hund

Abgesehen von geographisch bedingten Unterschieden in Bezug auf Fellfarbe und Fellänge, Knochenbau oder Ohrenform, die allenfalls auch bereits bewußt züchterisch bevor­zugt wurden, entstanden die ersten Hunderassen als Folge der Selektion auf bestimmte Ver­wendungsmöglichkeiten (ZIMEN, 1992). In erster Linie nutzte der Mensch wohl den Kampf- und Schutztrieb des Hundes. Daraus entstanden die ersten Hütehunde, die die Herden gegen den Angriff von Wölfen oder Kojoten beschützten (FINGER, 1988), die ersten Jagdhunde, die u.a. für die Jagd auf wehrhaftes Wild eingesetzt wurden, die ersten Hofhunde zur Bewachung der mensch­lichen Siedlungen und später die Kriegshunde, die als lebende Waffen mit in den Krieg zogen (ZIMEN, 1992). Rassestandards im heutigen Sinn gab es in den Anfängen der Hundezucht sicher keine, die Selektion erfolgte auf halbnatürlicher Basis, zur Fortpflanzung kamen die Hunde, die für den jeweiligen Verwendungszweck am besten geeignet waren. Da für alle ge­nannten Nutzungen große, kräftige und mutige Hunde die besten Voraussetzungen boten, werden sich wohl die ersten rasseähnlichen Fortpflanzungsgemeinschaften des Hundes weder in Bezug auf ihr Exterieur noch in Bezug auf ihren Charakter wesentlich voneinander unter­schieden haben.

Im Laufe der Jahrhunderte hat sich an den Hauptverwendungsmöglichkeiten des Hundes nichts wesentliches geändert, spezialisiertere Zuchtrichtungen ergaben sich einerseits im Bereich der Jagdhundezucht sowie allenfalls aus speziellen Freizeitvergnügungen, die sich in England gegen Ende des 16. Jhdt. etablierten. Windhunderennen und Kämpfe von Hunden ge­gen Bullen führten zur Zucht für diese "Sportarten" besonders geeigneter Hunde, wobei für die Verwendung als Kampfhund Eigenschaften genutzt wurden, die auch für den ursprünglichen Verwendungszweck der eingesetzten Hunde als Jagd- Wach- und Schutzhunde wichtig waren. Ursprünglich dem Adel vorbehalten wurden vor allem die Bullenkämpfe bald zum Volksver­gnügen. Später kämpften Hunde aus praktischen Erwägungen (Bullenbeschaffung war zu teuer) gegeneinander bzw. nachdem 1835 die Hundekämpfe vom Parlament verboten wurden auch gegen Ratten (SEMENCIC, 1984).

Rassehundezucht im modernen Sinn gibt es etwa seit Mitte des 19. Jhdt. 1859 fand in England die erste Hundeausstellung statt. Mit Gründung des British Kennel Clubs 1873 wurden die Rahmenbedingungen für Rassezugehörigkeit, Zucht und Ausstellungsgeschehen festgelegt (ZIMEN, 1992).

 

 

Rassehundezucht heute

Die Zuchtziele in der heutigen Hundezucht betreffen im Wesentli­chen das rassetypische, in den von der Federation cynologique international (FCI) anerkannten Standards definierte, Exterieur. In manchen Rassen wird als Zuchtvoraussetzung Freiheit von bestimmten Erbfehlern, z.B. Hüftge­lenksdysplasie, verlangt und bei manchen Rassen (Jagdhunde, Gebrauchshunde) werden Gebrauchsleistungsprüfungen für Zuchttiere gefordert

Als internationaler Dachverband ist die FCI weltweit die bedeutendste züchte­rische Institution in der Hundezucht. In jedem Land wird von der FCI ein nationaler Zucht­verband anerkannt, in Österreich der Österreichische Kynologenverband (ÖKV). Die FCI ist für die Anerkennung von Rassen und Rassestandards zuständig, wobei der Standard der einzelnen Rassen von dem jeweiligen Ursprungsland der Rasse erstellt wird. In den Rassestandards sind die äußeren Merkmale sowie allenfalls Hinweise auf erwünschte Wesensmerkmale der jeweiligen Rasse vorgegeben.

Der ÖKV erstellt auf nationaler Ebene eine Rahmenzuchtordnung in der die Mindestanforderungen für die Zuchtzulassung festgelegt sind. Von den einzelnen Rassezuchtverbänden kann diese Rahmenzuchtordnung nur im Sinne einer Verschärfung der Zuchtvoraussetzungen modifiziert werden.

 

 

GEBRAUCHSPRÜFUNGEN ALS SELEKTIONSGRUNDLAGE

Bei Rassen, die auf der Basis von Gebrauchsprüfungen selektiert werden, müssen nicht notwendigerweise aggressionsfördernde Gene züchterisch bevorzugt werden. Bei der Schutzarbeit wird auf dem Beutetrieb und auf Spielverhalten aufgebaut. Der Hetzärmel ist für den Hund nur Beute, die ihm vom Scheintäter streitig gemacht wird (BECHTOLD, 1985; SWAROVSKI et al., 1986). Dieser Zusammenhang wird auch durch Ergebnisse einer Unter­suchung von HRUBY (1991) bestätigt, die in einer Untersuchung an 1119 Hunden, die Gebrauchsprüfungen absolviert hatten, eine signifikante Korrelation zwischen den Schutz­arbeitsfächern "Kampftrieb", "Überfall" und "Mutprobe" und dem Unterordnungsfach "Bringen", das vor allem auf Beutetrieb und Apportierfreude beruht, fand. In dieser Unter­suchung wurden außerdem signifikante Korrelationen zwischen den in der Schutzarbeit erziel­ten Punkten und den Punkten in der Unterordnung gefunden, was einerseits die Leistung in der Schutzarbeit als zu einem großen Teil trainierbare Leistung ausweist, und anderseits die Bedeutung unterstreicht, die dem Gehorsam und der Bereitschaft zur Unterordnung bei der Ausbildung des Schutzhundes und damit auch bei der Zuchtwahl zukommt.  Durch diese Er­gebnisse wird auch die Meinung von FEDDERSEN-PETERSEN (1992b) und REHAGE (1992) unterstützt, die als besonders gefährlich jene Hunde bezeichnen, die im Rahmen einer Schutzausbildung zu aggressivem Verhalten ermutigt werden, bei denen die Ausbildung dann aber abgebrochen wird und die dadurch nicht ausreichend auf Unterordnung trainiert werden.

 

 

Identifikationsmöglichkeiten

Identifikationsmöglichkeiten beim Einzeltier sind auf der Basis von angeborenen oder erworbenen Abzeichen möglich, wobei aber die Möglichkeit von Verfälschungen und Irr­tümern nie auszuschließen ist. Eindeutige Identifikation ist möglich auf der Basis der Bestim­mung von Blutgruppen bzw. polymorphen Protein- und Enzymsystemen (SCHLEGER und STUR, 1986), auf der Basis von DNA- Fingerprints (Jeffreys and Morton, 1987; GEORGES et al., 1988) sowie mittels Microchipiden­tifizierung (N.N., 1993).

Auf der Basis von Blutgruppen, polymorphen Protein- und Enzymsystemen sowie DNA-Fingerprints bzw. caninen Microsatelliten ist auch bei einem Einzelhund die Überprüfung der angegebenen Abstam­mung von zwei bestimmten Eltentieren möglich (MORTON et al. 1987; Binns et al., 1995; FREDHOLM and WINTERO, 1996; ZAJC and SAMPSON, 1996; )

Die Identifizierung einer bestimmten Rassezugehörigkeit ist allerdings nur auf der Basis äußerer Merkmale möglich, die zwar in den Rassestandards definiert sind, im Einzelfall aber die zweifelsfreie Zuordnung eines Hundes zu einer bestimmten Rasse nur bedingt ermögli­chen.

Über canine DNA-Marker lassen sich zwar genealogische Studien  über die  genetische Distanz  zwischen Rassen oder Populationen  durchführen (FREDHOLM and WINTERO, 1995; OKUMURA et al., 1996; PIHKANEN et al., 1996; ZAJC et al., 1997) eine Zuordnung eines Einzelhundes zu einer bestimmten Rasse oder die Feststellung der Abstammung eines Mischlings von bestimmten Rassen auf der Basis caniner Marker ist nach aktuellem Wissensstand nicht möglich (TEMPLETON, 1990).

 

 

Kurze Übersicht über Geschichte und Entwicklung einzelner inkriminierter Rasser

 

1) Mastiff (SCHMIDT, 1990): molossoide, mastiffähnliche Hunde findet man bereits in sehr frühen Kulturen. Eine Terrakottatafel assyrischen Ursprungs aus dem 7.Jhdt. v. Chr. zeigt einen Mann, dessen Hand auf dem Rücken eines Hundes von enormer Größe und eindeutig im molossoiden Typ ruht. Aus archäologischen Funden, Darstellungen und Plastiken läßt sich auf den Verwendungszweck der mastiffähnlichen Hunde der vorchristlichen Zeit schließen. Sie wurden offensichtlich als Wachhunde und Kriegshunde und als Jagdhunde für wehrhaftes Wild genutzt. Im antiken Rom wurden solche Hunde für Gladiatorenkämpfe und für Kämpfe gegen wilde Tiere, wie Bären oder Löwen eingesetzt. Auch in der nachchristlichen Zeit wurden mastiffähnliche Hunde vor allen im angelsächsischen Raum vorwiegend als Wach- und Schutz­hunde sowie als Kriegshunde verwendet. Allerdings wurden sie auch in England für Schau­kämpfe gegen Löwen und Bären genutzt. Geregelte Pedigreezucht gibt es beim Mastiff aller­dings erst seit der Gründung des OEMC (Old English Mastiff Club) im Jahr 1883.

Der erste und der zweite Weltkrieg stellten für die Rasse einen populationsgenetischen Fla­schenhals dar, so daß durch Einkreuzungen von Bernhardinern und Bullmastiffs die Population größenmäßig erweitert wurde.

 

Mastiffzucht heute: Vom heutigen Mastiff wird neben den detaillierten Exterieurstandardvor­schriften folgendes verlangt (FCI Standard):

Charakterisitsche Merkmale: groß, massiv, kraftvoll, ebenmäßig, gut gebauter Körper. Eine Kombination von Erhabenheit und Mut.

Wesen: Ruhig, liebevoll seinem Besitzer gegenüber, aber fähig, diesen zu schützen.

 

Mastiffzucht in Österreich: Mastiffs werden in Österreich im Rahmen des Molosser-Club-Austria im ÖKV gezüchtet.

Grundsätzliche Voraussetzung für die Zuchtverwendung (Molosser-Club-Austria) sind Gesundheit, altersmäßige Entwicklung und ein rassetypisches Wesen und Aussehen.

Als zuchtausschließende Erbfehler gelten neben Exterieurfehlern und schwerer Hüftgelenks­dysplasie  (HD)

     übersteigerte Aggressivität

     ausgeprägte Ängstlichkeit.

 

2) Bullterrier (Schleger, 1983): Stammvater des Bullterriers war der Mastiff, aus dem Anfang des 17. Jhdt. der Bull dog gezüchtet wurde. Er war kleiner und leichter als der Mastiff und wurde für Bullenkämpfe eingesetzt. Um für reine Hundekäpfe (Kampf Hund gegen Hund) wendigere und schnellere Hunde mit Bereitschaft zur Unterordnung zu züchten, wurden  Ende des 18. Jhdt. in den Bull Dog Terrier eingekreuzt. 1835 wurde der Tierkampf in England offi­ziell verboten; inoffiziell dauerten die Hundekämpfe aber weiter an. Der Selektionsdruck beim ursprünglichen Bullterrier ergab sich aus dem Verwendungszweck. Zur Zucht kamen nur Hunde, die sich im Kampf bewährt hatten, d.h. ihre Kämpfe überlebt hatten. Besonderer Wert wurde aber immer auf die Bereitschaft zur Unterordnung gelegt, da es einerseits möglich sein mußte, die Hunde nach den einzelnen Kampfrunden zu trennen andererseits sich die Aggres­sion des Hundes nicht gegen den Besitzer richten sollte.

 

Bullterrierzucht heute: Vom heutigen Bullterrier wird neben detaillierten Exterieurstandard­vorschriften folgendes verlangt (FCI Standard):

Allgemeine Erscheinung: Der Bullterrier muß kräftig, symmetrisch muskulös und beweglich gebaut sein. Sein Ausdruck ist lebhaft und intelligent; er soll Mut verbunden mit einem ausge­glichenen Wesen und der Bereitschaft zur Unterordnung zeigen.

 

Bullterrierzucht in Österreich: Bullterrier werden in Österreich im Rahmen des Österreichi­schen Bullterrier-Club im ÖKV gezüchtet.

Zuchtvoraussetzungen sind (Österreichischer Bullterrier-Club, 1979):

Gesundheit, einwandfreies Gebäude, genügend starke Knochen

Ausstellungsbewertungen bei Rüden mindestens zwei "Vorzüglich" auf internationalen Ausstel­lungen, bei Hündinnen zwei "Sehr gut" bzw. ein "Vorzüglich" auf internationalen Ausstel­lungen

 

3) Mastino Napoletano (Weisse, 1990): Der Ursprung des Mastino Napoletano lag in den mittelalterlichen Packerhunden Italiens, die ähnlich wie der Mastiff und der Bulldog in Eng­land, der Saupacker in Deutschland, der Dogue de Bordeaux in Frankreich zur Jagd auf wehr­haftes Wild eingesetzt wurden. Die eigentliche Rassegründung des Mastino Napoletano erfolgte im Jahr 1949 mit der Anerkennung des Rassestandards.

 

Mastino Napoletanozucht heute: Vom Mastino Napoletano wird neben  detaillierten Exte­rieurstandardbestimmungen folgendes verlangt (FCI Standard):

Allgemeine, rassetypische Merkmale: Der Mastino Napoletano ist der Wach- und Schutzhund par excellence. Er ist enorm wuchtig, starkknochig, kraftvoll, von derbem und gleichzeitig majestätischem Aussehen, robust und mutig, sein Ausdruck ist intelligent, das Wesen ausge­glichen, gehorsam und nicht aggressiv; als Verteidiger von Personen und Besitz unübertroffen.

 

Mastino Napoletanozucht in Österreich: Der Mastino Napoletano wird in Österreich im Rahmen des Molosser-Club-Austria im ÖKV gezüchtet.

Grundsätzliche Voraussetzung für die Zuchtverwendung (Molosser-Club-Austria) sind Gesundheit, altersmäßige Entwicklung und ein rassetypisches Wesen und Aussehen.

Als zuchtausschließende Erbfehler gelten neben Exterieurfehlern und schwerer Hüftgelenks­dysplasie

     übersteigerte Aggressivität

     ausgeprägte Ängstlichkeit.

 

4) Fila Brasileiro (DASER, 1990): Die molossoiden Hunde Südeuropas sind als die Stamm­väter des Fila Brasileiro anzusehen. Diese Hunde begleiteten die Einwanderer nach Brasilien wo sie ähnlich wie in der ursprünglichen Heimat zunächst vor allem zu Jagdzwecken genutzt wurden. Außerdem dienten sie dem Schutz der Haziendas und der Bewachung der Sklaven. Flüchtige Sklaven sollten durch die Hunde gesucht und gestellt, keinesfalls aber verletzt wer­den, da der Verlust eines Sklaven als wirtschaftlicher Verlust angesehen wurde. Im Lauf der Zeit wurden verschiedene Rassen in die ursprünglichen mastiffähnlichen Hunde Brasiliens eingekreuzt wie Bulldoggen und Bluthunde, aber auch Foxhounds, Greyhounds und Pointer.

 

Fila Brasileirozucht heute:  Vom Fila Brasileiro wird neben  detaillierten Exterieurstandard­bestimmungen folgendes verlangt (FCI Standard): Ein bedeutender Teil seiner Charakteristika sind Mut, Entschlossenheit und herausragende Tapferkeit. Er ist seinem Besitzer und dessen Familie gegenüber fügsam und Kindern gegenüber äußerst tolerant. Seine Treue wurde in Brasilien sprichwörtlich. Er sucht immer die Gesellschaft seines Herren. Einer seiner Wesens­züge ist sein Mißtrauen Fremden gegenüber. Er ist von Haus aus ruhig, sein Selbstbewußtsein und sein Selbstvertrauen werden weder durch unbekannte Geräusche noch durch eine neue Umgebung erschüttert. Er ist als Wachhund unübertroffen, vom Instinkt her ein Jagdhund für Großwild und ein Hütehund für Rinderherden.

 

Fila Brasileirozucht in Österreich: Der Fila Brasileiro wird in Österreich im Rahmen des Molosser-Club-Austria im ÖKV gezüchtet.

Grundsätzliche Voraussetzung für die Zuchtverwendung (Molosser-Club-Austria) sind Gesundheit, altersmäßige Entwicklung und ein rassetypisches Wesen und Aussehen.

Als zuchtausschließende Erbfehler gelten neben Exterieurfehlern und schwerer Hüftgelenks­dysplasie :

     übersteigerte Aggressivität

     ausgeprägte Ängstlichkeit.

 

5) Bordeaux-Dogge (PUFAHL, 1990): Die Bordeauxdogge ist der direkte Nachfahre einer der zahlreichen Doggenarten, die seit sehr langer Zeit in Frankreich existieren. Sie wurden als Packhunde für Großwild, Kriegshunde, in der Arena, zum Schutz von Viehherden oder als Metzgerhunde eingesetzt. Der erste Rassestandard wurde 1896 veröffentlicht.

 

Bordeauxdoggenzucht heute: Von der Bordeauxdogge wird neben  detaillierten Exte­rieurstandardbestimmungen folgendes verlangt (FCI Standard):  Gesamterscheinung: Die Bordeauxdogge ist ein außergewöhnlich kräftig gebauter Koloß mit einem sehr muskulösen, insgesamt harmonischen Körperbau. Sie bietet den Anblick eines Respekt einflößenden, untersetzten, muskulösen, imposanten und stolzen Athleten. Ehemals Kampfhund findet sie heute als Wachhund Verwendung, eine Aufgabe, die sie mit Aufmerk­samkeit und großem Mut, jedoch ohne Aggressivität erfüllt. Sie hängt sehr an ihrem Herrn und ist Kindern gegenüber sehr liebevoll.

 

Bordeauxdoggenzucht in Österreich: Die Bordeauxdogge wird in Österreich im Rahmen des Molosser-Club-Austria im ÖKV gezüchtet. Grundsätzliche Voraussetzung für die Zuchtverwendung (Molosser-Club-Austria) sind Gesundheit, altersmäßige Entwicklung und ein rassetypisches Wesen und Aussehen.

Als zuchtausschließende Erbfehler gelten neben Exterieurfehlern und schwerer Hüftgelenks­dysplasie

      übersteigerte Aggressivität

      ausgeprägte Ängstlichkeit.

 

6) Dogo Argentino (SCHIMPF, 1992): Der Ursprung des Dogo Argentino lag wahrscheinlich im spanischen Alano, einem Hund, der im Zuge der germanischen Völkerwanderung  etwa 400 n. Chr. von den Alanen nach Spanien gebracht wurden. Diese Hunde entsprachen im Typ einem  doggenartigen Packer- und Hetzhund. Im Zuge der Kolonialisierung wurden diese Hunde nach Südamerika gebracht unter anderem auch zum Zwecke der Unterstützung der Spanier bei der Kolonialisierung Südamerikas. Durch Leistungsselektion entwickelte sich eine Hunderasse mit unübertroffenem Kampftrieb, die weitgehend schmerzunempfindlich und wider­standsfähig bis zur Selbstaufopferung war. Engländer, die zum Bau des Eisenbahnnetzes nach Argentinien kamen, brachten Bullterrier mit, um sich bei Hundekämpfen von ihrem Heimweh abzulenken. Dadurch wurden einerseits Bullterrier in die lokale Hunderasse eingekreuzt, anderseits Hundekämpfe als Volkssport etabliert. Etwa 1920 wurden Hundekämpfe gesetzlich verboten. Um die Rasse des Dogo Argentino zu erhalten, wurde beschlossen auf der Basis der alten Kampfhunde eine neue Rasse zu begründen, die vor allem in der Jagd auf wehrhaftes Wild wie Wildschwein und Puma einzusetzen ist. Zur Verbesserung der Jagdeigenschaften wurden in den Fünfzigerjahren Hunde verschiedener Rassen eingekreuzt wie Pointer, Deutsche Dog­gen, Bullterrier, Bordeauxdogge, Boxer, Irish Wolfhound.

1947 wurde das Zuchtziel festgelegt: ein stumm jagender Hund mit hoher ausdauernder Nase, kampftriebstark wegen des wehrhaften Wildes (Wildschwein, Puma) aber kein Raufer, da er mit anderen Hunden zusammenarbeiten muß. Von weißer Farbe, damit er sich von seinen Geg­nern besser abhebt. Klein genug um im dichten Bewuchs arbeiten zu können, aber groß genug um schnell und stark zu sein.

 

Dogo Argentinozucht heute: Vom Dogo Argentino werden neben  detaillierten Exterieurstan­dardbestimmungen keine weiteren allgemeinen Merkmale verlangt (FCI Standard)

 

Dogo Argentinozucht in Österreich: Der Dogo Argentino wird in Österreich im Rahmen des Österreichischen Dogo Argentino Klub im ÖKV gezüchtet. Voraussetzungen für die Zuchtzulassung lagen  uns zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Gutachtens nicht vor.

 

7) American Staffordshire Terrier (GORDON, 1986): Der Ursprung des American Staffordshire Terrier geht auf die Zeit der Hundekämpfe in England zurück. Für die Kämpfe Hund gegen Hund bzw. Hund gegen Ratte wurden kleinere und wendigere Hunde als die ursprünglich für den Bullenkampf eingesetzten Mastiffs und Bull Dogs benötigt. Durch Ein­kreuzung verschiedener Terrier entstand u. a. der  Staffordshire Bullterrier. 1935 wurde der erste Staffordshire Bullterrier Club gegründet, 1936 wurde der American Staffordshire Terrier vom Amerikanischen Kennel Club anerkannt.

 

American Staffordshire Terrierzucht heute: Vom American Staffordshire Terrier wird neben  detaillierten Exterieurstandardbestimmungen folgendes verlangt (FCI Standard):  Der American Staffordshire Terrier soll den Eindruck von großer Kraft in Bezug auf seine Größe machen. Ein harmonischer muskulöser Hund, lebhaft und interessiert an seiner Umgebung. In der Gesamterscheinung sollte er untersetzt und nicht zu langbeinig wirken. Sein Mut ist sprichwörtlich.

 

American Staffordshire Terrierzucht in Österreich: Der American Staffordshire Terrier wird in Österreich im Rahmen des Österreichischen Club für American Staffordshire Terrier im ÖKV gezüchtet. Als Voraussetzung zur Zuchtzulassung wird folgendes verlangt (Österreichischer Club für American Staffordshire Terrier, 1990):

Nachdem der ursprüngliche Verwendungszweck der Rasse als Kampfhund keine Berech­tigung mehr hat, darf unter "rassetypisches Wesen" keine Aggressivität verstanden werden. Daher ist eine Zuchtzulassungsprüfung und die BGH1-Prüfung (Begleithundeprüfung 1) als Mindestanforderung nötig.  Bei der Zuchtzulassungsprüfung wird die Reaktion des Hundes auf optische und akustische Reize, auf Bedrohung des Führers sowie beim Durchqueren einer lockeren bzw. dichten Men­schengruppe geprüft. Zeigt der Hund Aggression oder Ängstlichkeit erfolgt Zuchtausschluß.

 

8) Rottweiler (PIENKOß, 1982): Die molossoiden Hunde der römischen Provinz Germania sind die Urahnen des Rottweilers. Aus Kreuzungen mit bodenständigen Hirtenhunden und Bullenbeißern entstand im Gebiet der Stadt Rottweil der Rottweiler Metzgerhund. Er wurde einerseits als Schutzhund anderseits als Treibhund für Rinderherden und Helfer der Metzger eingesetzt. Anfang des zwanzigsten Jhdt. wurde der Rottweiler als Gebrauchshund entdeckt und von Polizei und Heer als Diensthund verwendet. In den beiden Weltkriegen wurde der Rottweiler neben anderen Gebrauchshunderassen für Kriegszwecke als Melde-, Sanitäts- und Erkun­dungshund eingesetzt.

 

Rottweilerzucht heute: Vom Rottweiler wird neben  detaillierten Exterieurstandard­bestimmungen folgendes verlangt (FCI Standard):

Allgemeines Erscheinungsbild: Der Rottweiler ist ein mittelgroßer bis großer stämmiger Hund, weder plump noch leicht, nicht hochläufig oder windig. Seine im richtigen Verhältnis stehende, gedrungene und kräftige Gestalt läßt auf große Kraft, Wendigkeit und Ausdauer schließen.

Verhalten und Charakter (Wesen): Von freundlicher und friedlicher  Grundstimmung, kinderliebend ist er sehr  anhänglich, gehorsam, führig und arbeitsfreudig. Seine Erscheinung verrät Urwüchsigkeit, sein Verhalten ist selbstsicher, nervenfest und unerschrocken. Er reagiert mit hoher Aufmerk­samkeit gegenüber seiner Umwelt.

 

Rottweilerzucht in Österreich: Der Rottweiler wird in Österreich im Rahmen des Österrei­chischen Rottweiler-Klubs im ÖKV gezüchtet. Von den Zuchttieren wird folgendes verlangt (ÖSTERREICHISCHER ROTTWEILER KLUB; 1990): eindeutiges Geschlechtsgepräge, Ge­sundheit und Lebenskraft, Ausdauer gewährleistendes Gebrauchsgebäude, starkes, vollständiges Scherengebiß, harte Konstitution, gute Nerven und festes Wesen, Selbst­sicherheit, Mut und Härte. Es werden verschiedene Zuchtklassen unterschieden:Einfache Zucht: einer der Zuchtpartner muß ein Ausbildungskennzeichen (mindestens     Schutzhundeprüfung I (SCHH I)) besitzen, jedoch beide Zuchtpartner eine bestandene Zuchttauglichkeitsprüfung. Gebrauchshundezucht: beide Eltern haben ein Ausbildungs-kennzeichen (mindestens SCHH I) Leistungszucht: Die Eltern und Großeltern haben ein Ausbildungskennzeichen (mindestens SCHH I)  Körzucht: beide Eltern sind angekört.

Kör- und Leistungszucht: beide Eltern sind angekört und die Großeltern haben ein Ausbil­dungskennzeichen.

Körungsanforderungen:

Mindestalter von 36 Monaten für Rüden und 30 Monaten für Hündinnen.

Bestandene Zuchttauglichkeitsprüfung.

Bei Rüden bestandene Schutzhundeprüfung III(SCHH III), bei Hündinnen bestandene SCHH I

Kein Hinweis auf HD

Als zuchtausschließende Fehler gelten u.a.

Verhalten: Ängstliche, scheue, feige, schußscheue, bösartige, übertrieben mißtrauische, nervöse Tiere

 

9) Rhodesian Ridgeback (N.N., 1992): Der Rhodesian Ridgeback stammt aus dem südlichen Afrika, wo er von den verschiedenen Hottentottenstämmen als Jagdhund zum Hetzen von Wild verwendet wurde. In der Selektion stand ursprünglich Hochläufigkeit und Schnelligkeit an er­ster Stelle, später wurden die Hunde etwas massiger gezüchtet, um auch mit wehrhaftem Wild, wie z.B. mit Löwen fertig zu werden. Die Buren kreuzten u.a. Bloodhounds und Airdaleterrier ein. 1922 wurde der erste Rhodesian Ridgeback Club (Lion Dog Club) gegründet, 1924 erfolg­te die Anerkennung als Rasse durch die FCI

 

Rhodesian Ridgebackzucht heute: Der Rhodesian Ridgeback wird nach wie vor als Jagd­hund verwendet, aber auch als Familien- und Wachhund sowie als Polizei- und Blindenhund. Neben detaillierten Exterieurstandardbestimmungen wird vom Rhodesian Ridgeback folgendes verlangt (FCI-Standard): Stattlicher, muskulöser und selbstbewußter Hund, dem man seine Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer auch ansieht. Sein Temperament ist gelassen, trotzdem ver­fügt er aufgrund seiner Schnelligkeit, Ausdauer, Schlauheit, Beweglichkeit und seines Seh- und Riechvermögens über eine erstaunliche Dominanz. Der Rhodesian Ridgeback zeichnet sich durch Ruhe und Selbstbeherrschung aus.

 

Rhodesian Ridgebackzucht in Österreich: In Österreich wird der Rhodesian Ridgeback im Rahmen des Rhodesian Ridgeback Club im ÖKV gezüchtet.

Als Voraussetzung zur Zuchtzulassung wird folgendes verlangt (Rhodesian Ridgeback Club): Ablegung einer Zuchttauglichkeitsprüfung, bei der Exterieur und Wesen beurteilt wird. HD-Freiheit. Mindestens Formwert "sehr gut" bei einer Ausstellung.

 

10) Pitbullterrier und Bandog (SEMENCIC, 1984): Weder Pitbullterrier noch Bandog sind von der FCI anerkannte Rassen, obwohl der Pitbullterrrier in Amerika bei seinen Züchtern und Haltern sehr wohl als Rasse bezeichnet wird. Er entstand wahrscheinlich auf der Basis des Staffordshire Bullterriers durch Kreuzungen mit jeweils besonders kampfbereiten Hunden anderer Rassen. Der Bandog ist ein Kreuzungsprodukt u.a. aus Bullterrier und Mastiff. Zucht­ziel ist bei Pitbullterrier und Bandog Leistung im Hundekampf. Da Pitbullterrier und Bandog nicht von der FCI als Rassen anerkannt sind, existieren auch keine FCI Rassenstandards und damit werden im Rahmen des ÖKV in Österreich auch weder Pitbullterrier noch Bandog gezüchtet.

 

 

POPULATIONSDYNAMIK

 

Veränderungen bzw. Stabilität im Genpool einer Population unterliegen einer Wechselwirkung aus Selektionsdruck und genetischer Zufallsdrift (FALCONER, 1984).

Selektionsdruck bewirkt eine Anhäufung von Genen, die ein oder mehrere erwünschte und daher selektiv begünstigte Merkmale determinieren. Selektionsdruck wird im Rahmen natürlicher Selektionsbedingungen vor allem auf Merkmale, die der Selbsterhaltung und Arterhaltung dienen, ausgeübt. So kommt es durch natürlichen Selektionsdruck z.B. zur Anhäufung bestimmter Farbgene, die Tarnfärbung bedingen oder von Genen, die besondere Schnelligkeit oder besondere Kraft bestimmen.

Im Rahmen domestikationsbedingter künstlicher Selektion ändert sich der Selekti­onsdruck; nicht mehr Merkmale, die das Überleben des Individuums bzw. der Art sichern, werden selektiv begünstigt, sondern Merkmale, die der zuchtbeeinflussende Mensch für wichtig erachtet.

Gene, die keinem Selektionsdruck ausgesetzt sind, unterliegen genetischen Drift­wirkungen. Die Richtung der genetischen Drift wird durch den Zufall determiniert, das Aus­maß der genetischen Drift und damit die Geschwindigkeit der Genpoolveränderung ist umge­kehrt proportional der Populationsgröße. In kleinen Populationen kommt es daher besonders schnell zu driftbedingten Veränderungen des Genpools.

Als Folge der genetischen Drift können Einzelgene entweder der Population verlo­ren gehen oder homozygot fixiert werden.

Gene, die z.B. bei Mastiffs im 19. Jhdt. selektionsbedingt besondere Kampfbe­reitschaft bedingt haben, können in wenigen Generationen verloren gehen, wenn Kampfbe­reitschaft keinem Selektionsdruck mehr unterliegt.

Durchläuft eine Population zudem im Laufe der Zeit einen sogenannten populati­onsgenetischen Flaschenhals (die Zahl der Zuchttiere reduziert sich umständehalber vorüberge­hend auf einige wenige Tiere), wie es z.B. bei Mastiffs als Kriegsfolge der Fall war (SCHMIDT, 1990) entspricht der Genpool der Folgepopulation ausschließlich dem Genpool des Populationsteils, der den "Flaschenhals" passiert hat und dem allenfalls später einge­kreuzter Tiere.

Die Folgepopulation ist somit nicht mehr als genetisch identisch mit der ursprüng­lichen Population anzusehen.

Betrachtet man die heutigen definierten Zuchtziele der  inkriminierten Rassen, ist bei keiner dieser Rassen Kampftrieb oder Aggressivität als Zuchtziel vorgegeben, bzw. stellt übermäßige Aggressivität sogar einen zuchtausschließenden Fehler dar.

Allenfalls früher vorhandene Gene, die bei Vorfahren der heutigen Rassen entspre­chend ihrer Nutzung und dem damit vorhandenen Selektionsdruck Kampfbereitschaft und Aggressivität gefördert haben, unterliegen somit heute keinem positiven Selektionsdruck und sind daher der genetischen Zufallsdrift ausgesetzt oder unterliegen sogar einem negativen Selektions­druck, der zu einer gezielten Verdrängung der entsprechenden Gene aus der Population führt, wobei nach SCOTT und FULLER (1965) wenige Generationen gezielter Selektion genügen, um die genetische Struktur einer Population in Bezug auf bestimmte Verhaltensmerkmale zu verändern.  Dies gilt aber nicht nur für die  inkriminierten Rassen sondern grundsätzlich für alle Rassen.

Ein Beispiel für die Wirkung der genetischen Drift möge der Dackel bieten. Ursprünglich als reiner Jagdhund für die Arbeit unter der Erde eingesetzt, die hohe Kampfbe­reitschaft wahrscheinlich auf der Basis hoher Schmerztoleranz, wie sie ZIMEN (1992) für den Jagdterrier beschreibt, voraussetzt, liegt seine Hauptverwendung heute im Einsatz als Begleit- und Familienhund. Die ursprünglich wichtige Kampfbereitschaft unterliegt somit keinem Selektionsdruck, die determinierenden Gene driften zufällig und wenn es auch sicher heute noch Dackel gibt, die die ursprünglich geforderte Härte und Kampfbereitschaft immer noch aufbringen, so sind doch die meisten Dackel heute verträgliche und friedliche Hunde.


Gefährliche Hunde

 

Bei der Gefahr, die von Hunden ausgeht, sind zwei Punkte zu unterscheiden:

1) die allgemeine Tiergefahr: sie ergibt sich aus der Unberechenbarkeit des nicht vernunft­begabten Tieres und gilt grundsätzlich für alle Tierarten in der Obhut des Menschen.

2) die spezielle Gefahr, die von einem Einzeltier ausgeht und die sich aus individuellen Beson­derheiten ergibt. Diese Besonderheiten können

a) individuelle Wesensmerkmale des Hundes

b) individuelle körperliche Merkmale des Hundes

c) individuelle Merkmale des Hundebesitzers bzw. Hundehalters

d) Unfallsituation

e) individuelle Merkmale des Geschädigten betreffen.

Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber geht davon aus, daß von Hunden bestimmter Rassen allein auf Grund ihrer Rassezugehörigkeit eine höhere Gefahr ausgeht als von Hunden anderer Rassen.

Das würde voraussetzen, daß in einem oder mehreren der oben genannten Punkte erfaßbare Unterschiede zwischen Hunden verschiedener Rassen bestehen.

 

zu a) individuelle Wesensmerkmale des Hundes  

Das Wesen des Hundes wird definiert als die Gesamtheit aller angeborenen und erworbenen körperlichen und seelischen Anlagen, Eigenschaften und Fähigkeiten, die sein Ver­halten zur Umwelt bestimmen, gestalten und regeln (SEIFERLE 1972). Der Begriff umfaßt das gesamte Verhalten eines Hundes seinen Menschen gegenüber, seine Bindung an diese, weiter das Verhalten fremden Menschen und neuen Reizen gegenüber und das Verhalten zu anderen Hunden. Er beinhaltet dabei die Neigung eines Hundes zur Dominanz bzw. zur schnelleren Unterordnung, umschließt konstitutionelle Faktoren wie Reaktionsbereitschaft, Reaktionsge­schwindigkeit und Ausdauer und bezieht sich auf das Verhaltensinventar eines Hundes, das mehr oder weniger vollständig sein oder z.B. Ausfälle einerseits wie Übersteigerungen anderer­seits innerhalb bestimmter Funktionskreise ausweisen kann. Auch das Temperament, die Aus­dauer, die Fähigkeit des Hundes, assoziativ und durch Kombination zu lernen, fließen in den Begriff Wesen mit ein.

Der Begriff Wesen ist somit äußerst komplex und schließt daher per se eine einfa­che und meßbare Beurteilung bei einzelnen Hunden bzw. bei Hunden einer Rasse aus, zumal in die Definition auch die Umwelt des Hundes, die weder meßbar noch standardisierbar ist, ein­geht. Wesensmerkmale gehören daher großteils zu den niedrig heritablen Eigenschaften, deren genetische Erfassung beim Einzeltier bzw. in einer Population nur bedingt möglich ist.

Objektive Einzelbeurteilungen bzw. Beurteilung von Rassenunterschieden lassen sich allenfalls in Bezug auf einzelne definierte Verhaltensweisen verwirklichen. So beschreiben FEDDERSEN-PETERSEN (1992) und FEDDERSEN-PETERSEN und HAMANN  (1994) Unterschiede in der Verhaltensontogenese verschiedener Rassen (Labrador Retriever, Golden Retriever, Siberian Husky, Bullterrier, Großpudel, Zwergpudel, Schäferhund), beurteilt am Zeitpunkt des frühesten Auftretens bestimmter Verhal­tensweisen.

HART und MILLER (1985)  erstellten auf der Basis subjektiver  Beurteilungen, bei denen  ausgewählte Tierärzte, Formwert- und Leistungsrichter sowie Hundeausbildner   56 Hunderassen nach dem Ausprägungsgrad vorgegebener Merkmale zu reihen hatten,    Rassenprofile für bestimmte definierte Verhaltensweisen wie z.B.  Erregbarkeit, Bellfreudigkeit,  Bereitschaft zum Gehorsam,  Aggression gegen andere  Hunde, Dominanz  über den Besitzer etc.. Sie stellten fest, daß für verschiedene Merkmale wie z.B. Erregbarkeit und  allgemeine Aktivität  größere  Unterschiede  zwischen den Rassen zu erkennen waren als für andere Merkmale wie z.B. Aggression gegen Hunde und Dominanz über den Besitzer.  Auf der Basis  von  Faktorenanalyse und Clusteranalyse  stellten HART und HART (1985)  aus dem gleichen Datenmaterial  Rassengruppen  mit ähnlichen   Verhaltenstendenzen zusammen.  So  gehören z.B.  der  Rassengruppe  mit den Merkmalen "sehr hohe Aggressionsbereitschaft, niedrige Reizschwelle und mittelgradige Erziehbarkeit" Rassen  wie Dackel, Zwergschnauzer,  Chihuahua  und diverse Terrier an.  Zu der Rassengruppe  mit den Merkmalen  "sehr hohe Aggressionsbereitschaft, sehr gute Erziehbarkeit und  sehr hohe Reizschwelle" gehören Rassen wie  der Deutsche Schäferhund, Akita Inu, Dobermann und Rottweiler. Ein Hinweis auf besondere Gefährlichkeit bestimmter Rassen läßt sich aus diesen Ergebnissen nicht ableiten, da speziell die Merkmale Reizschwelle und Erziehbarkeit nur in der Interaktion mit der individuellen  Umwelt einen Einfluß auf  gefährdendes Verhalten eines Einzeltieres haben. Die Autoren  untersuchten in dieser Studie auch  Unterschiede im  Verhalten  zwischen  weiblichen und männlichen Tieren  und  fanden bei den  weiblichen Tieren eine Überlegenheit bei den  Merkmalen  Gehorsamstraining,  Erziehung zur Stubenreinheit und  Fordern von Zuwendung; bei den männlichen Tieren waren Merkmale wie  Dominanz gegenüber dem Besitzer, Aggression gegen andere Hunde, generelle Aktivität, Territorialverteidigung,  Schnappen nach Kindern, Destruktivität und Verspieltheit  stärker ausgeprägt.  Bei der Wertung dieser  Ergebnisse  ist allerdings die sehr subjektive  Grundlage  der  Datenauswertung zu berücksichtigen

Die wissenschaftlich fundierte Beurteilung von Verhalten und Wesen bei Hunden, die die Voraussetzung für eine berechtigte Differenzierung zwischen verschiedenen Rassen wäre, setzt in jedem Fall eine möglichst objektive Merkmalserfassung, eine standardisierte Prüfsituation sowie ausreichendes Zahlenmaterial für eine statistische Absicherung voraus.

Wesenstests wie z.B. der Campbell-Test (CAMPBELL, 1975) wären möglicher­weise geeignete Verfahren zur Beurteilung von Wesens- und Verhaltensmerkmalen einzelner Hunde bzw. zur Erfassung von Rassenunterschieden. Es fehlen allerdings bis jetzt ausreichend wissenschaftlich abgesicherte Untersuchungen zur Evaluation der Testaussage. Nur bei Beagles (VENZL, 1990) wurde bisher der Campbell-Test in Hinblick auf seine Aussagekraft evaluiert.

Aggression als ein definiertes Wesensmerkmal läßt sich ebenso schlecht objektivieren. Eine Untersuchung von SCHLEGER (1983) weist den Bullterrier als angeblich besonders aggressive Rasse aus, bei der selbst arterhaltende Funktionskreise wie Paarung und Welpenaufzucht durch extrem aggressives Verhalten der Paarungspartner gegeneinander bzw. der Mutter zu ihren Welpen gestört sind. Das beobachtete Untersuchungsmaterial umfaßte allerdings nur 11 Würfe mit insgesamt 58 Welpen. Zudem lag im Untersuchungszeitraum in der betreffenden Bullterrierpopulation ein sehr hoher Inzuchtkoeffzient vor (zwischen 19% und 22%), da seit 1960 zur Verbesserung des Rassestandards einige Bullterrier aus England impor­tiert wurden und in der Folge enge Linienzucht auf einige wenige Ahnen betrieben worden war. Die beobachteten aggressionsbedingten Probleme sind somit eher als inzuchtbedingte  Konsolidierung von ethopathieauslösenden Defektgenen in einer Abstammungslinie zu sehen, denn als rassetypische Verhaltensweisen.

Bei Berner Sennenhunden wurde von van der VELDEN et al. (1976) ein Hinweis auf eine genetisch bedingte Ethopathie gefunden, die zu aggressivem Verhalten der Hunde führte. Die betroffenen Tiere waren immer Rüden und fielen als Welpen durch besondere Scheu und Nervosität auf. Als Grundlagendefekt wurde eine Verringerung der Reizschwelle für sexualhormongesteuerte Aggression angenommen.

Nach SCOTT und FULLER (1965) ist eine wesentliche Grundlage für genetische Unterschiede in der Aggression zwischen Rassen der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Tieren. In aggressiveren Rassen ist der Geschlechtsunterschied in Bezug auf aggres­sives Verhalten stärker ausgeprägt als in weniger aggressiven Rassen. In dieser Studie wurden als aggressivere Rassen Foxterrier und Basenjis, als friedlichere Rassen Cockerspaniels und Shelties eruiert.

Vergleichbare Ergebnisse wurden von PINXTEREN et al. (1983) gefunden. Aus Befragungen von insgesamt 202 Hundebesitzern ging hervor, daß aggressives Verhalten den größten Anteil an Verhaltensstörungen ausmacht. Es konnte keine direkte Rassenpre­disposition gefunden werden,  allerdings zeigte sich, daß bei Mastiffs, Hütehunden und Misch­lingen Rüden deutlich aggressiver waren als Hündinnen derselben Rasse.

Eine objektive Bewertung der besonderen Aggressivität und damit wesensbedingter Gefährlichkeit bestimmter Rassen könnte sich allenfalls aus einer Überrepräsentation einzelner Rassen an der Beteiligung an Unfällen mit Hunden ergeben. Dazu gibt es eine Reihe von Untersuchungen.

WRIGHT (1985) fand bei insgesamt 5711 Beißzwischenfällen mit Hunden insge­samt 16 schwerwiegende Vorfälle, bei denen der Hund mehrmals zubiß. Alle 16 Hunde waren Rüden und 10 hatten bereits vorher gebissen. Es waren dies fünf American Staffordshire Ter­rier, drei Bernhardiner und zwei Cockerspaniel. Alle Vorfälle spielten sich in unmittelbarer Nähe der Wohnung des Hundebesitzers  ab.

Nach einer Untersuchung von PODBERSCEK and BLACKSHAW (1990) waren vor allem männliche Vertreter großer Hunderassen, vor allem Deutsche Schäferhunde, Bull­terrier, Pit Bull Terrier und Labradors an Bißverletzungen beteiligt. In den meisten Fällen wa­ren die Opfer dem Hund bekannt und der Vorfall geschah in unmittelbarer Umgebung des eigenen Territoriums. Streunende Hunde attackierten Menschen nur selten.

AVNER und BAKER  (1991) werteten Bißverletzungen bei insgesamt 168 Kindern aus. In 35 Fällen waren Deutsche Schäferhunde beteiligt, in 33 Fällen Pit Bulls, weiters 9 Rottweiler, 7 Dobermann, 6 Terrier und 5 Huskies. Rüden bissen häufiger als Hündinnen und die meisten Bißverletzungen erfolgten durch dem Kind bekannte Hunde und im direkten Um­kreis des Wohnbereiches des Hundes.

BLACKSHAW (1991) fand in einer Auswertung von Daten einer Spezialklinik für Verhaltensstörungen in Australien bei 87 Hunden, die wegen Aggression gegen Menschen vorgestellt wurden 16% Bullterrier,  15% Deutsche Schäferhunde und Schäfermischlinge, 9,2% Hütehunde, 9,2% Terrier, 8% Labradors, je 5,7% Pudel und Cockerspaniel und 4,6% Rottweiler.

SHEWELL und NANCARROW (1991) untersuchten im Rahmen einer Fragebo­genaktion die Beteiligung von Rassen an Beißvorfällen. Aus insgesamt 107 retournierten Fra­gebögen zeigten sich am häufigsten beteiligt Staffordshire Bullterrier (15 Fälle), Jack Russel Terrier (13 Fälle), mittelgroße Mischlinge (10 Fälle) und Deutsche Schäferhunde (9 Fälle). In den meisten Fällen waren es Rüden, die bissen und es wurden vor allem die Besitzer der Hunde im Heim des Hundes gebissen.

Eine Polizeistatistik von HARTWIG (1990) über Schußwaffengebrauch zum Tö­ten von Hunden weist von insgesamt 34 Fällen, in denen Hunde wegen Schädigung von Men­schen oder Tieren mit der Schußwaffe getötet wurden, 16 Deutsche Schäferhunde, 1 Mischling, 5 Pit Bulls, 2 Rottweiler, 3 Boxer, 1 Wolfspitz, 1 Windhund, 2 Berner Sennenhunde, 1 Bernhardiner, 1 American Staffordshire Terrier und 1 Dogge aus.

REHAGE (1992) gibt aus einer Kleintierpraxis eine Übersicht über Hunde, die seit 1987 wegen Hyperaggressivität euthanasiert werden mußten. Es waren dies insgesamt: 5 Rottweiler, 4 Deutsche Schäferhunde, 2 Münsterländer, 7 rote Cockerspaniel, 5 Mischlinge, 1 Hovawart, 2 Chow Chow, 1 Pudel, 2 Dackel, 1 Deutsch Kurzhaar.

In einer Untersuchung über Bißunfälle mit Todesfolge (insgesamt 109 Fälle) (SACKS et al., 1996) waren in 24 Fällen Pitbullterrier, in 16 Fällen Rottweiler und in 10 Fällen Schäferhunde beteiligt. Eine andere  entsprechende Studie, in der  Bißvorfälle mit Todesfolge über einen Zeitraum  von 1979 bis 1996 ausgewertet wurden (MMWR, 1997)  weist  60 Pitbullterrier, 29 Rottweiler, 19 Schäferhunde, 14 Huskys, 12 Alaskan malamute, 8 Dobermann, 8 Chow Chow, 6 Doggen, 4 Bernhardiner, 4 Akita Inu, 14 Wolfhybriden, 11 Schäfermischlinge, 10 Pitbullmischlinge, 6 Husky Mischlinge, 3  Alaskan Malamute Mischlinge, 3 rottweiler mischlinge, 3 Chow Chow Mischlinge und 199 Mischlinge unbekannter Herkunft  als   beteiligte Rassen aus.

In einer an der  Universität Utrecht durchgeführten  Studie über angstbedingte Aggression  bei Hunden (GALAC und KNOL, 1997)  wurden insgesamt 284 Hunde, die im Zeitraum zwischen 1991 und 1994  wegen Verhaltensproblemen vorgestellt wurden, ausgewertet. Bei  26% wurde angstbedingte Aggression diagnostiziert.  Am häufigsten  waren  mit insgesamt 18 Hunden  Mischlinge vertreten, gefolgt von Golden Retrievern (9 Hunde), Rottweiler (6 Hunde) und Berner Sennenhunden (4 Hunde). Das aggressive Verhalten bestand  in Knurren, Schnappen, Beißen  mit angelegten Ohren, gesenktem Schwanz und  geduckter Körperhaltung. Es richtete sich gegen Kinder und Erwachsene und wurde vor allem im  Haus gezeigt, wenn ein Mensch sich dem Hund näherte oder ihn berührte.

Alle genannten Untersuchungen zeigen zwar bestimmte Rassen in Zusammenhang mit Bißvorfällen, für eine fundierte und berechtigte Inkriminierung bestimmter Rassen als besonders gefährlich  auf der Basis dieser Untersuchungen müßte aber

a) die Zahl der an Bißvorfällen beteiligten Hunde einer Rasse in Relation zu der Gesamtzahl der Hunde dieser Rasse im Untersuchungsgebiet bewertet werden

b) die Überrepräsentation von Vertretern einer Rasse statistisch abgesichert werden.

c) der Einfluß anderer Faktoren auf den Bißvorfall  bei der Auswertung berücksichtigt werden.

d) jeweils ein größeres Zahlenmaterial ausgewertet werden

 

In keiner der zitierten Arbeiten sind diese Voraussetzungen erfüllt so daß das Auf­treten von Hunden bestimmter Rassen in den genannten Untersuchungen als zufällig angesehen werden muß.

In einer Statistik über die Rassenbeteiligung an Beißvorfällen aus Deutschland (SCHNEPPEN, 1992) zeigt sich für einzelne der in der Steiermark  inkriminierten Rassen fol­gende Rangierung:

Rottweiler                                       Platz 3

Mastino Napoletano                            Platz 23

Staffordshire Bullterrier                      Platz 26

Fila Brasileiro                               Platz 42

Bordeauxdogge                               scheint nicht auf

Dogo Argentino                               scheint nicht auf

Die ersten beiden Plätze  werden vom Deutschen Schäferhund und dem Mischling eingenommen.  Auf die übrigen, in der Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung genannten Rassen, wird in dieser Arbeit  kein Bezug genommen. Aus der Rangierung gehen keine genaue Zahlenangaben hervor und die Beteiligung einzelner Rassen an Beißvorfällen wird nicht in Relation zur der Gesamtzahl der Hunde dieser Rassen gewertet.

In einer Untersuchung von BERZON (1978) wurde festgestellt, daß 44% aller Hundebisse auf das Konto  Deutscher Schäferhunde gingen, obwohl diese nur 22% der Hundepopulation ausmachten

SZPAKOVSI et al. (1989) fanden in einer Untersuchung an 250 Beißvorfällen eine im Verhältnis zur Gesamtpopulation um 2% erhöhte Beteiligung von Schäferhunden und Mischlingen.

In einer Untersuchung von TERNON (1993), die aus Protokollen österreichischer Versicherungen die Ursachen von Bißvorfällen mit Hunden analysierte, wurde unter anderem die Zahl der an Vorfällen beteiligten Hunde einzelner Rassen mit der Zahl der jeweils im Österreichischen Hundezuchtbuch (ÖHZB) eingetragenen sowie mit der Rassenverteilung in einer österreichischen Kleintierpraxis verglichen. Bei den Bißvorfällen waren der Schäferhund  im Vergleich mit der Rasseverteilung in der Patientenkartei und der Rottweiler sowohl in Relation zum ÖHZB als auch in Relation zur Rassenverteilung in der Kleintierpraxis  überrepräsentiert. Auch in dieser Untersuchung war die Zahl der ausgewerteten Vorfälle für eine fundierte Aussage viel zu klein und eine statistische Absicherung  wurde nicht durchgeführt.  Da in der Arbeit  nur Bisse durch versicherte  Hunde und nur solche, die auch der Versicherung gemeldet worden waren, ausgewertet  wurden,  ist  das in dieser Untersuchung ausgewertete Material nicht als repräsentative Stichprobe für alle Bißvorfälle  anzusehen. Die Untersuchung zeigte außerdem, daß der Rottweiler besonders häufig an Bißvorfällen mit Beteiligung von mehr als einem Hund beteiligt war, so daß aus der Arbeit eine besondere Gefährlichkeit des Rottweilers als Einzelhund auch nicht abzuleiten wäre.

Eine besondere Gefährlichkeit durch die Beteiligung von zwei Hunden ergibt sich nach ZIMEN (1992) im Zusammenhang mit der angstgesteuerten Aggressionshemmung bei Hunden. Aggressives Verhalten unterliegt aus der Sicht des Hundes immer einer Kosten-Nutzenrechnung. Der Hund muß immer davon ausgehen, daß er im Kampf selber verletzt wird und Schmerzen empfindet. Aggressives Verhalten ist daher aus der Sicht des Hundes nur dann sinnvoll, wenn er  entweder sicher sein kann, daß er den Kampf gewinnt, bzw. im Kampf nicht subjektiv geschädigt wird oder die Motivation zum Kampf stärker ist als die Angst vor Beschädigung. Wenn zwei oder mehrere Hunde gleichzeitig angreifen, sinkt für den Einzelhund das Risiko der Beschädigung und daher steigt die Bereitschaft zum Angriff auch bei geringem Nutzen für den Einzelhund. Gemeinsam angreifende Hunde sind daher unabhängig von der Rasse als besonders gefährlich zu betrachten.

In  einer Untersuchung von UNSHELM et al. (1993)  werden zunächst einige Statistiken zu Körperverletzungen durch Hunde aus deutschen Großstädten  zitiert. So wurden im Raum Köln in der Zeit von 1989 bis 1990  45 Vorfälle aktenkundig, davon wurden 18 durch Schäferhunde, 12 durch Rottweiler, 4 durch Boxer, 3 durch Mischlinge, 2 durch Dobermänner sowie je einer durch Bullterrier, Beagle, Labrador Retriever, Dalmatiner, Tigerdogge und Zwergpudel ausgelöst.  Im Raum Dortmund  wurden in der Zeit zwischen 1988 und 1990 insgesamt 234 Vorfälle  erfaßt  davon waren  85 Schäferhunde, 53 mischlinge, 18 rottweiler, 9 Bullterrier, 3 Collies, 3 Jagdhunde  und 63  Tiere ohne Rasseangabe bzw. sonstige Rassen..

In der Untersuchung selbst  wurden  insgesamt 330  Hunde (davon 248 Rassehunde), die im Zeitraum von 1986 bis 1990 durch aggressives Verhalten  aufgefallen sind,  ausgewertet. Der Autor weist im Chi2-Test abgesicherte signifikante einflüsse folgender Faktoren auf den Unfall nach:

fehlerhaftes Verhalten des Hundebesitzers

keine Ausbildung des beißenden Hundes

Hund nicht angeleint

Vorfall findet auf öffentlichen Plätzen statt.

Die in der Studie erfaßten Rassen wurden mit  der VHD (Verband Deutscher Hundezüchter) - Welpenstatistik verglichen. Rassen, die bei den Bißvorfällen  im Vergleich zur Welpenstatistik überrepräsentiert waren, waren

Deutscher Schäferhund

Boxer

Rottweiler

Dogge

Dobermann

Bullterrier

Mischlinge waren an den Bißvorfällen  nicht überproportional beteiligt.

Die Überrepräsentation der genannten Hunderassen wurde allerdings nicht  statistisch abgesichert. Es erfolgte auch keine Korrektur auf die übrigen erfaßten Einflüsse wie sie von GERSHMAN et al. (1994) postuliert wird. Der Autor weist überdies auf die Problematik  der Erfassung genauer Zahlen zur Rassenstatistik hin und daß dadurch die Ergebnisse der Untersuchung nur mit Vorbehalt zu sehen sind.

In einer gezielten  Studie auf der Basis einer "matched pair analysis"  (GERSHMAN et al, 1994) wurden 128 Paare von Hunden ausgewertet.  Jeweils ein Hund eines Paares war ein Hund, der gebissen hatte, wobei nur solche Bißvorfälle ausgewertet wurden, die einen Fremden, also kein Mitglied des Haushaltes betroffen haben. Der zweite  war ein zufällig ausgewählter Hund aus der näheren Umgebung des ersten, ausgewählt auf der Basis der ersten 5 Ziffern der Telephonnummer  der Hundebesitzer. Dieser zweite Hund wurde in die Studie nur aufgenommen, wenn er bisher noch nicht gebissen hatte. Die Besitzer  jeweils beider  Hunde wurden telephonisch befragt. Die Rassenzuordnungen erfolgten auf der Basis der Besitzerinformation, konnten die Besitzer ihren Hund keiner Rasse zuordnen oder handelte es sich um einen Mischling, wurde  gefragt welcher Rasse der hund am meisten ähnlich schaut, bzw. welche Rasse am meisten beteiligt war.  Ausgewertet wurden außerdem Geschlecht und Alter des Hundes, Ort  des Bißvorfalles, Ausbildung bzw. Erziehung des hundes und Erfahrung des Besitzers in der Hundehaltung. Über Chi2-Test wurden  die beiden Gruppen miteinander verglichen. Eine signifikante Überrepräsentation bei den beißenden Hunden zeigte sich für die Rassen:  Akita Inu, Chow Chow,  Collie, Deutscher Schäferhund,  signifikant unterrepräsentiert bei den beißenden Hunden waren  Golden Retriever und Pudel. Rottweiler scheinen in dieser Untersuchung überhaupt nicht auf,  Dobermann  waren gleichmäßig auf die beißenden und nicht beißenden Hunde verteilt. Bei anderen Faktoren zeigten sich ebenfalls signifkante  Unterschiede  in der Verteilung auf beißende und nicht beißende Hunde. So waren unter den beißenden Hunden signifikant mehr  männliche Tiere,  nicht kastriert, schwerer als 50 Pfund  und jünger als 5 Jahre. Bei  statistischer Korrektur auf diese Einflüsse  blieb nur für die Rassen  Schäferhund und Chow Chow eine signifikante Überrepräsentation  bei den beißenden Hunden übrig.

Da in dieser Studie nur  solche  Bißvorfälle ausgewertet wurden,  bei denen  der Hund  ein Nicht-Haushaltsmitglied gebissen hatte, ist das Ergebnis  nicht als wirklich repräsentativ für alle Bißvorfälle zu sehen, da in anderen Studien (AVNER und BAKER, 1991; SHEWELL and NANCARROW, 1991; BANDOW, 1996; KLAASEN et al., 1996) belegt wird, daß ein großer Teil  der Gebissenen vom eigenen oder einem bekannten Hund gebissen wurde.

Eine Studie der University of Washington  (BANDOW, 1966) zeigt  ebenfalls  einen Vergleich  zwischen dem Anteil von Rassen bei  Bißverletzungen im Vergleich mit den Eintragungszahlen. Folgende Rassen traten  in höherem Prozentsatz  unter  den beißenden Hunden auf als  ihrer Verteilung unter den eingetragenen Hunden entsprach:

Deutscher Schäferhund

Pit Bullterier

Rottweiler

Collie

Dobermann

Dogge

Pudel

Auch in dieser Untersuchung  erfolgte keine statistische Absicherung  der  abweichenden Rassenverteilung. Die Rassenstatistik ist außerdem nach Angaben des Autors mit Vorbehalt zu sehen, da die Rassezuordnung auf Angaben des Opfers beruhen, das nicht immer in der Lage ist in der Unfallsituation die Rasse des angreifenden Hundes richtig zu erkennen, bzw. auf Angaben des Besitzers, der sofern nicht der Hund in einem Zuchtverband eingetragen ist, die Rasse auch nicht immer richtig angibt.

Nach RIECK (1997) ist der typische beißende Hund männlich, unkastriert, jünger als 2 Jahre und gehört einer Gebrauchshunderasse an, wie z.B. Schäferhund oder Rottweiler oder er ist z.B. ein Cocker  Spaniel oder Chow Chow und stammt aus einer Massenzucht, in der Temperament bzw. andere wünschenswerte  Eigenschaften eines Hundes bei der zucht nicht berücksichtigt werden.  Der Autor zitiert eine Statistik  zu  Todesfällen durch Hundebisse.  Von 34 Todesfällen aus den Jahren 1989 bis 1990  wurden 10 durch  nordische Rassen wie Husky, Samojede oder Malamute, 10 weitere durch Hunde vom Pitbull-Typ verursacht. 6 Todesfälle  wurden  von Deutschen Schäferhunden bzw. -mischlingen,  3 von  einem Dobermann, einer  durch einen Rottweiler und 5 durch Hunde sonstiger Rassen verantwortet.

In einer  Untersuchung aus Australien (Thompson, 1997)  an insgesamt 154 Bißvorfällen wird für einzelne hunderassen die Representation-Ratio (=Anteil der Rassen an Hundeattacken/Anteil der Rasse insgesamt) angegeben.  Diese beträgt für

Schäferhund            2,5

Bullterrier 2,1

Blue Heeler            1,8

Dobermann            4,7

Rottweiler 2,2

Collie                    0,5

Labrador              0,6

 

Auch in dieser Untersuchung wird auf eine statistische Absicherung  der  Abweichungen verzichtet,  sonstige Faktoren, wie Geschlecht des  Hundes oder die Unfallsituation werden nicht berücksichtigt.

Auf die Problematik der Verfügbarkeit von  genauen Zahlen über die  ingesamt vorliegende Rassenverteilung zur Feststellung von prozentual an Bißvorfällen überrepräsentierten Rassen weist  der MMWR (1997)  hin, da auch die Eintragungszahlen nicht die wirkliche  Rassenverteilung widerspiegeln, zumal  Besitzer unterschiedlicher Rassen  eine unterschiedliche Bereitschaft zur Eintragung  ihres Hundes  haben  können.

Zusammenfassend ist zu sagen, daß  zwar in  diversen  Untersuchungen an Bißvorfällen  prozentuell überrepräsentierte Rassen  gefunden wurden, daß aber keine einzige Arbeit allen Anforderungen an eine  methodisch und statistisch einwandfreie Auswertung  gerecht wird.

 

Eine besondere Gefährlichkeit bestimmter Rassen aufgrund rassetypischer Wesens­merkmale ist somit weder von der Definition des Wesens her noch auf der Basis bisheri­ger Untersuchungen über die Beteiligung bestimmter Rassen an Beißvorfällen zulässi­gerweise abzuleiten

 

 

zu b) Körperliche Merkmale des Hundes  

Körperliche Merkmale lassen sich im allgemeinen besser erfassen als Wesens­merkmale.

Gewicht, Widerristhöhe, Körperlänge, Kaliber, sind meßbare Parameter, die in den verschiedenen Rassestandards beschrieben sind und die von Rasse zu Rasse nicht unwe­sentlich variieren.

Kraft und Geschwindigkeit sind Merkmale, die aus körperlichen Eigenschaften resultieren und daher ebenfalls von Rasse zu Rasse differieren. Geschwindigkeit ist objektiv meßbar, Kraft ist ein komplexerer Parameter, der zur objektiven Erfassung nicht so gut geeig­net ist und zur Meßbarmachung standardisierter Versuchsanordnungen bedarf.

Beißkraft ist ein Parameter, der im Rahmen einer besonderen Versuchsanordnung meßbar ist (TRISKA, 1924); die damaligen Untersuchungen beschränkten sich aber auf 24 Hunde verschiedener Rassen und verschiedenen Alters, so daß ein Schluß auf besondere Beiß­kraft bestimmter Rassen nicht möglich ist. In Beschreibungen mancher Hunderassen wird zwar auf die besondere Beißkraft hingewiesen, wissenschaftlich abgesicherte Untersuchungen dazu sind  uns aber nicht bekannt.

Es ist auch ohne wissenschaftliche Absicherung nachvollziehbar, daß größere und kräftigere Hunde grundsätzlich ein höheres Gefahrenpotential darstellen als kleinere und schwächere. Eine Gefährdung, die u.a. auf der Größe eines Hundes basiert, kann sich auch aus durchaus freundlich gemeintem Begrüßungsverhalten von Hunden ergeben. Freundliches Anspringen durch einen großen Hund egal welcher Rasse kann Menschen zum Sturz bringen. Da aber auch innerhalb einer Rasse eine Varianz in Bezug auf die Größe besteht (die meisten Rassestandards geben für die Größe nur Grenzen an) und andererseits die Kraft eines Hundes abgesehen von der genetischen Grundlage auch vom Trainingszustand abhängt, läßt sich auch auf der Basis äußerer körperlicher Merkmale keine Rassenpredisposition für besondere Gefährlichkeit ableiten.

Ein Parameter, der ebenfalls zu den körperlichen Merkmalen zu zählen ist und der im Rahmen der Aggressionsbereitschaft eine nicht unwesentliche Rolle spielt, ist die Schmerz­empfindlichkeit.

In fast jeder Konfrontation zwischen annähernd gleich großen und gleich starken Hunden übt die Angst vor Schmerz und Verletzung eine hemmende Wirkung auf die Aggressi­onsbereitschaft aus. Im natürlich selektierten Wolfsrudel sind echte Beschädigungskämpfe daher eher selten und finden nur dann statt, wenn die Motivation (Rangordnung bzw. Territo­rialverteidigung) stärker ist als die Angst vor Schmerz und Verletzung (ZIMEN, 1992). Grundsätzlich muß man daher auch beim Hund davon ausgehen, daß Angst vor Schmerz hem­mende Wirkung auf die Aggression hat.

Erhöhte Bereitschaft zur aggressiven Auseinandersetzung kann daher grundsätzlich auf zwei Ursachen beruhen:

1) starke Motivation zur Auseinandersetzung

2) Hemmungsverlust durch hohe Schmerztoleranz

So scheint nach ZIMEN (1992) das Kampfverhalten der Jagdterrier nicht in erster Linie auf einer erhöhten Reizproduktion endogener Aggression zu beruhen sondern eher auf dem Abbau von Schmerzempfindlichkeit und Angst, der zu einem entsprechenden Hemmungs­verlust und damit zu gefährlichen Situationen führt. Dieser Hemmungsverlust ist wichtig für den jagdlichen Einsatz (Jagdterrier müssen unter der Erde gegen Fuchs und Dachs kämpfen). Auch bei Hunden, die für die Großwildjagd gegen wehrhaftes Wild eingesetzt wurden bzw. werden, ist eine hohe Schmerztoleranz von Vorteil, da sie dem Hund jene Hemmungslosigkeit verleiht, die als Härte bezeichnet wird und für den Hund die psychische Voraussetzung zum Angriff auf das ihm eigentlich überlegene Raubtier darstellt. Auch in diesem Fall stellt die Meu­tejagd, also der gemeinsame Angriff mehrerer Hunde, zusätzlich zu der hohen Schmerztoleranz einen Verstärker dar, der ja in der Praxis auch genutzt wurde bzw. wird. Auch bei Hirtenhunden, die die Herden vor Raubtieren, wie Wölfen oder Bären zu schützen hatten, war hohe Schmerztoleranz ein funktioneller Vorteil. Hohe Schmerztoleranz stellt aber auch für Hunde, die für Hundekämpfe eingesetzt wurden, eine wichtige Voraussetzung dar, da die Auseinandersetzung mit dem etwa gleich starken Gegner sonst durch angstbedingte Hemmung entweder gar nicht stattfinden oder frühzeitig abge­brochen würde.

Eine Möglichkeit zur wissenschaftlich exakten objektiven Beurteilung der Schmerztoleranz beim Hund ist  uns nicht bekannt, es besteht daher auf der Basis bisheriger Erkenntnisse auch keine Möglichkeit zu prüfen, ob bestimmte Rassen eine höhere Schmerz­toleranz haben als andere.

Hohe Schmerztoleranz als Aggressionsauslöser spielt aber nur im Zusammenhang mit einem gleich starken oder stärkeren Gegner eine Rolle, da ja nur bei solchen Gegnern Angst vor Schmerz aggressionshemmend wirkt. Bei Hunden mit hoher Schmerztoleranz ergibt sich eine allenfalls darauf basierende erhöhte Gefährlichkeit somit wohl vor allem im Zusam­menhang mit dominanzbedingter Aggression also in Rangordnungsauseinander-setzungen mit dem eigenen Besitzer oder mit anderen Hunden.

Zu den körperlichen Merkmalen eines Hundes ist auch sein Geschlecht zu zählen. Daß Rüden häufiger als Hündinnen  an Bißvorfällen beteiligt sind, wird von verschiedenen Autoren beschrieben (Wright, 1985; PODBERSCEK and BLACKSHAW, 1990;  AVNER und BAKER, 1991; SHEWELL und NANCARROW, 1991;  TERNON, 1993; UNSHELM et al., 1993; GERSHMAN et al., 1994; GALAC and KNOL, 1997; RIECK, 1997) wobei vor allem der junge männliche unkastrierte Hund  als Hauptverursacher von Bißverletzungen  bezeichnet wird (GERSHMAN et al., 1994; RIECK, 1997). Auch HART und HART (1985) fanden in ihrer Untersuchung, daß Merkmale wie Dominanz gegenüber dem Besitzer, Aggression gegen andere Hunde, Territorialveteidigung und  Schnappen nach Kindern bei Rüden stärker ausgeprägt sind als bei Hündinnen. Rüden sind daher unabhängig von der Rasse als gefährlicher anzusehen als Hündinnen. Kastration als therapeutische Maßnahme bei Hyperaggressivität zeigt nach Untersuchungen von HOPKINS et al. (1976) und HART (1976) in etwa der Hälfte der Fälle Erfolg.

Zu den individuellen körperlichen Merkmalen, die aggressionsauslösend wirken können, sind außerdem alle Gesundheitsstörungen zu zählen, die direkt oder indirekt das Ver­halten der Tiere beeinflussen. Zu nennen wären hier unter anderem:

- akute oder chronische Schmerzzustände

- Erkrankungen im Bereich des ZNS

- Vergiftungen

- Anfallsleiden

Gesundheitsstörungen dieser Art können bei allen Rassen auftreten und berech­tigen somit ebenfalls nicht zu einer Inkriminierung bestimmter Rassen.

 

Auf der Basis körperlicher Merkmale ist somit eine besondere Gefährlichkeit bestimmter Hunderassen nach bisherigen Erkenntnissen nicht zulässigerweise abzuleiten

 

 

zu c) individuelle Merkmale des Hundebesitzers bzw. Hundehalters

Hinsichtlich der Art ihres Zusammenlebens mit Menschen sind Hunde Haustiere besonderer Art. Im Verlaufe dieses Zusammenlebens, das vor 12 000 bis 14 000 Jahren be­gann, entwickelte sich eine Art soziale Symbiose mit enger verhaltensbiologischer Bindung, die so ausgeprägt unter Menschen und Haustieren wohl einzigartig ist. Die vielen unter­schiedlichen Aufgaben, die Hunde für ihren menschlichen Kumpan erfüllen, basieren zum gro­ßen Teil auf dieser Partnerbeziehung. So kann Hundeverhalten ohne Einbeziehung des Men­schen wohl kaum treffend analysiert werden (FEDDERSEN-PETERSEN, 1992a).

In Bezug auf die Gefährlichkeit eines Hundes muß der Besitzereinfluß in zweierlei Hinsicht betrachtet werden.

 

1) Einfluß des Besitzers auf die Verhaltensentwicklung des Hundes

2) Einfluß des Besitzers auf die aktuelle Unfallsituation

 

Einfluß des Besitzers auf die Verhaltensentwicklung des  Hundes

Um den Einfluß des Besitzers auf die Verhaltensentwicklung des Hundes richtig zu bewerten, soll im folgenden die Frage nach den ethologischen Gründen, die dazu führen, daß ein Hund beißt, diskutiert werden.

Nach FEDDERSEN-PETERSEN (1991) lassen sich Verhaltensstörungen bei Hunden nach ihrer Ursache folgendermaßen einteilen:

1) Ethopathien:

a) genetisch bedingte organpathologische Verhaltensstörungen

b) exogen bedingte organpathologische Verhaltensstörungen

2) Neurosen: Erworbene Verhaltensstörungen infolge fehlender Umweltreize oder Umwelt­-
    belastungen, die zu Fehlanpassungen führen

a) Frühontogenetisch erworbene Verhaltensstörungen mit oft hochstabilen neuronalen Entwicklungsstörungen.

- Deprivationsschäden infolge fehlender sozialer Reize

- Deprivationsschäden infolge Reduktion von Umweltreizen

- Fehlprägungen

- versäumte Prägungen

b) Aktualgenetisch erworbene Verhaltensstörungen

- Verhaltensstörungen infolge räumlich beengter und reizarmer Haltung

- Stereotypien von Bewegungsmustern

- Traumatische Verhaltensstörungen nach Lernprozessen

Bei allen Formen von Verhaltensstörungen wird als eines der Symptome Aggres­sivität genannt.

Abgesehen von den angeborenen genetischen (SCHLEGER,1983; van der VELDEN et al., 1976) bzw. exogen bedingten organpathologischen Verhaltensstörungen spielt der Mensch als Auslösefaktor bzw. Modifikator des Fehlverhaltens eine wesentliche Rolle.

Auf die Frage "Warum beißt ein Hund" nennt FEDDERSEN-PETERSEN (1992b) vier Hauptgründe:

1) Aus Angst, aus sozialer Unsicherheit und aus unzureichender Umweltangepaßtheit. Die soziale Bindung an Artgenossen und/oder den Menschen ist unzureichend oder fehlt vollständig aufgrund nicht richtig ausgenützter Sozialisierungsphasen im Verlauf der Jugendentwicklung. Solche Hunde stellen die typischen Angstbeißer dar.

2) Sozial expansive Hunde, die in ungeklärten Rangverhältnissen mit ihren Menschen leben. Solche Hunde beißen besonders häufig Familienmitglieder im eigenen Territorium aber auch Fremde, die das Territorium betreten (z.B. Briefträger).

3) Hunde, die durch fehlgelenkte Zuchtauslese massive Fehlentwicklungen in ihrem Sozial­verhalten aufweisen. Die Autorin meint in diesem Zusammenhang wohl Hunde, die speziell für den Hundekampf gezüchtet worden sind, bzw. Hunde, die aufgrund ange­borener gnenetisch bedingter Ethopathien erhöhte Aggressivität aufweisen (siehe auch SCHLEGER, 1983). Die Autorin räumt aber auch ein, daß Hunde, die bewußt auf erhöhte Angriffsbereitschaft gezüchtet worden sind, in der Regel auch eine massiv gestörte Jugendentwicklung hinter sich haben, so daß es im Einzelfall schwierig bis unmöglich ist, angeborene von erworbenen Verhaltensdefekten zu trennen.

4) Hunde beißen, wenn sie im Zuge einer unbiologischen Ausbildung auf besonders aggressives Verhalten konditioniert worden sind. Ursächlich sind in diesen Fällen oft Hundehalter, die mit dem Hund imponieren wollen, beteiligt. Besonders gefährlich sind in diesem Zusammenhang Hunde, die eine Ausbildung zum Schutzdienst vorzeitig abgebrochen haben. Die besondere Gefährlichkeit solcher Hunde liegt wohl darin, daß sie zwar zu aggressivem Verhalten ermutigt worden sind, die Unterordnung, die aber bei jeder vollständigen Schutzhundeausbildung (ÖKV, 1990) obligater Bestandteil ist, nicht ausrei­chend trainiert wurde.

REHAGE (1992) klassifiziert hyperaggressive Hundepatienten nach drei Gesichts­punkten:

1) ganz normale Familienhunde, die ihren Besitzern aufgrund von Unkenntnis oder Unfähigkeit schlicht entgleiten.

2) entgleiste Schutz- und Wachhunde aus privater Hand. Hier handelt es sich häufig um Hunde die, bei einem vom Besitzer ursprünglich erwünschten Ausmaß an Aggressions­bereitschaft, mangelhaft sozialisiert werden und dann hyperaggressives Verhalten oft gegen den eigenen Besitzer zeigen.

3) "Kampf-" und "Imponierhunde". Die sogenannten "Kampfhunde" die teilweise auch den gegenständlichen  inkriminierten Rassen entsprechen und die als Halbwelt­statussymbole Prominenz erlangt haben, spielen bei dieser Gruppe zahlenmäßig so gut wie keine Rolle. "Imponierhunde" sind an keine Rasse gebunden, werden aber übereinstimmend mit dem Ziel gehalten, der Umwelt dadurch zu imponieren, daß man einen furchteinflößenden Hunden hält und ihn bändigen kann.

Neben einem klassischen Werdegang hyperaggressiver Patienten, der in der Regel bereits beim Welpen beginnt und auf stereotypen Erziehungsfehlern seitens des Besitzers ba­siert, gibt die Autorin als typische Determinanten von Hyperaggressionsproblemen folgende an:

1) ein subdominanter Besitzer

2) ein großrahmiger Hund mit/ohne Deprivationssyndrom

3) ein Hund, der auf dem Hundeplatz regelmäßig Schärfe am Mann übt.

4) der aber außerhalb des Hundeplatzes häufig nicht einmal in der Lage ist auf Kom­mando zuverlässig "Platz" zu machen.

PINXTEREN et al. (1983) stellten im Rahmen von insgesamt 202 Befragungen von Besitzern verhaltensgestörter Hunde fest, daß Aggressionsprobleme vorwiegend dadurch entstanden, daß der Hund aufgrund der Unwissenheit der Besitzer eine abnorme Rangord­nungsstellung im Haushalt innehatte. 80% der Problemfälle konnten durch Aufklärung der Be­sitzer und Unterordnungstraining des Hundes erfolgreich behandelt werden.

Auch die  Bedingungen unter denen ein Welpe aufgezogen wird,  spielen eine große  Rolle  für die spätere  Gefährlichkeit eines Hundes. So nennen FEDDERSEN-PETERSEN und HAMANN (1994)  Deprivationsschäden durch reduzierte unspezifische Umweltreize bei isolierter Zwingeraufzucht  als eine  häufige Ursache für durch hunde verursachte Unfälle. Die Autoren  fordern in diesem Zusammenhang  Überlegungen zu einem Verbot des gewerblichen Hundehandels und  der überwiegenden bzw. ausschließlichen  Zwingeraufzucht  bzw. -haltung.

In diesem Zusammenhang scheint ein Hinweis auf  die Problematik  der illegalen  Importe von Hunden aus dem ehemaligen Ostblock  notwendig.  Tierschutzrelevante Aufzuchtbedingungen  im Sinne  der Angaben von FEDDERSEN-PETERSEN und HAMANN (1994)  begünstigen  bei diesen Hunden spätere  Haltungsprobleme  im Sinne der Gefährdung von Menschen und Tieren.

Einen Einfluß des Hundebesitzers auf das Entstehen von "Wiederholungstätern" fanden UNSHELM et al.  (1993):  Sie fanden  einen signifikant höheren Anteil  an Wiederholungstätern  bei Hunden, die dem Besitzer nicht  gehorchten.  Bei Angriffen auf andere Hunde zeigte sich ein Einfluß der Ausbildung des Hundes. Hunde, die eine Ausbildung  absolviert hatten, waren  an 17%  der Bißvorfälle beteiligt, der Anteil von Hunden, die keine Ausbildung absolviert hatten, betrug 83%.

BANDOW (1996)  nennt als einen der Gründe  dafür, daß ein Hund beißt, die Tatsache, daß der Hundebesitzer keine Ahnung von Hundehaltung und Hundeverhalten hat bzw. daß der Hund nicht ordentlich verwahrt bzw. nicht ordentlich sozialisiert  war.

 

Einfluß des Besitzers auf die Unfallsituation

Der Einfluß des Besitzers auf die Unfallsituation wurde von UNSHELM et al. (1993) untersucht. Sie stellten an 197 ausgewerteten Vorfällen fest, daß in 68% der Fälle der Besitzer  des Hundes nicht  in den Vorfall eingegriffen hat, in 15% der Fälle der Besitzer den Hund angestachelt hat und nur in 17% der Fälle der Hundebesitzer Verantwortung übernommen hat.  In den Fällen, in denen der hund ohne Warnung angegriffen hatte, erhöhte sich der Anteil von Besitzern, die  nicht eingriffen auf  81%.

FEDDERSEN-PETERSEN und HAMANN (1994) weisen auch auf die Problematik  der  zahlenmäßig zwar geringen aber in Bezug auf die Gefährdung von Menschen hochproblematischen Randgruppe  der  Hunde hin, die im wahrsten Sinne des Wortes als Kampfhunde anzusehen sind.  Sie gehören in der Regel  keiner Rasse an  und treten daher auch  in Bezug auf ihr äußeres Erscheinungsbild in großer Variabilität auf.  Sie werden in bestimmten Bevölkerungskreisen  gezielt produziert, zu der züchterischen Negativauslese kommt eine gestörte Jugendentwicklung der Hunde.

Zusammenfassend ist somit davon auszugehen, daß zu einem sehr großen Teil für Fehlverhalten von Hunden aller Rassen der Mensch verantwortlich ist.

So schreibt SEMENCIC (1984) in seinem Buch über "The world of fighting dogs" wörtlich:

"Der Pit Bull hat ein Hauptcharakteristikum - nenne es einen Fehler in seiner Persönlichkeit - er zeigt seine Zuneigung dadurch, daß er seinem Herren dient. Manche dieser "Herren" sind üble, schlechte und kranke Menschen, die den Hund dazu abrichten zu kämpfen und zu töten und ihn damit zu einer tödlichen Waffe machen."

Und an einer anderen Stelle:

"Pit bulls are pets, that fulfill a desire to own the "meanest dog on the block"".

Und weiter:

"Die Aggression, die von Pit-Hunden oft gezeigt wird, ist im allgemeinen entweder angelerntes oder vom Besitzer geduldetes Verhalten. Wer einen "Pit-Hund" besitzen möchte, aber sein aggressives Verhalten gegen andere Tiere fürchtet, braucht nur einen Welpen nehmen und je­den Ansatz von Aggression bestrafen und freundliches Verhalten zu loben. Diese Regel gilt aber grundsätzlich für alle Hunde. Auch der Pit Hund wird nur so aggressiv sein, wie sein Besitzer es zuläßt."

Bei aller Skepsis in Bezug auf  das im Text genannte einfache Rezept zur Verhinderung von aggressivem Verhalten bei Hunden aller Rassen wird doch deutlich, daß vor allem fehlge­leitete Motivation von Hundebesitzern aus normalen Hunden gefährliche Hunde machen kann und dies unabhängig von der Rasse.

 

Auf der Basis individueller Merkmale des Besitzers ist somit eine besondere Gefähr­lichkeit bestimmter Rassen nicht zulässigerweise abzuleiten

 

 

ad d) Unfallsituation  

Um die Bedeutung der Unfallsituation für Beißvorfälle abschätzen zu können, muß die Frage nach der Motivation des Hundes zu aggressivem Verhalten gestellt werden. Wie bereits angeführt, unterliegt aggressives Verhalten aus der Sicht des Hundes einer Kosten-Nutzen-Rechnung (ZIMEN, 1992). Das bedeutet, daß der tatsächliche Angriff sich aus einer Kombination von Motivation einerseits und Hemmung andererseits ergibt. Motivationen zum Angriff ergeben sich aus vier ethologischen Funktionskreisen (IMMELMANN, 1983):

1) intraspezifische Aggression

       a) Aggression auf der Basis von Dominanzverhalten

       b) Aggression auf der Basis von Territorialverhalten

2) interspezifische Aggression

       a) Beutefang

       b) Verteidigung

Bei Hunden, die de facto die domestizierte Form des Wolfes darstellen,  kann es als Domestikationsfolge zur Überlagerung verschiedener Antriebssysteme kommen (ZIMEN, 1992). So kann z.B. aus intraspezifischem Spielverhalten (Hund spielt mit dem Kind des Besit­zers, das er als Rudelmitglied akzeptiert) durch Überlagerung interspezifisches Beutefang­verhalten werden (Kind fällt hin oder läuft davon). Normalerweise gehört der Mensch nicht zum Beuterepertoire des Hundes. Bestimmte Elemente des menschlichen Verhaltens können aber sehr stark jagdtriebauslösende Schlüsselreize sein wie z.B. schnelles Vorbei- oder Weg­laufen, unkontrollierte Bewegungen, Stolpern oder Hinfallen (Kinder, Betrunkene, Behin­derte). Sind zwei Hunde beteiligt, kann durch Dominanzverhalten die Situation verschärft wer­den (die beiden Hunde streiten sich um die Beute).

Unter Berücksichtigung der genannten vier ethologischen Funktionskreise ergeben sich typische Unfallsituationen:

- Opfer betritt Territorium des Hundes (Territorial-

  verteidigung)

- Opfer läuft vor dem Hund davon (Beutefang)

- Opfer fährt mit dem Fahrrad am Hund vorbei (Beutefang)

- Opfer unterschreitet die kritische Distanz des Hundes 

- Hund fühlt sich bedroht (Verteidigung)

- Opfer fügt dem Hund Schmerzen zu (Verteidigung)

- Opfer nimmt dem Hund sein Futter weg

  (Dominanzverhalten)

- Opfer verdrängt den Hund von einem Vorzugsplatz z.B.

  Sofa oder Bett (Dominanzverhalten)

Eine relativ häufige Unfallursache ist das Eingreifen des Opfers in einen Kampf zwischen zwei Hunden (SZPAKOWSKI, 1989; TERNON, 1992;). Bißverletzungen des Men­schen sind in diesem Fall als Zufall anzusehen, denn die Aggression des beißenden Hundes, die primär auf Dominanzverhalten beruht, richtet sich nicht gegen den Menschen sondern gegen den Hundegegner.

BORCHELT (1983) stellt in einer Untersuchung an 245 Fällen von Aggressivität bei Hunden acht Aggressionstypen fest:

Angstbedingte Aggression

Dominanzbedingte Aggression

Besitzverteidigung

Schutztrieb

Beutetrieb

Reaktion auf Bestrafung

Schmerz

Aggression gegen Artgenossen

Nach dieser Untersuchung soll dominanzbedingte Aggression vor allem bei English Springer Spaniel, Dobermann, Toy Pudel und Lhasa Apso auftreten, am wenigsten bei Jagd­hunden, während Aggression zwecks Besitzverteidigung vor allem beim Cockerspaniel zu beobachten ist. Die größte Häufigkeit von Aggression auf Schutztriebbasis wurde bei Deut­schen Schäferhunden gefunden, während Cocker Spaniel und Zwergpudel einen hohen Anteil an Angstbeißern aufwiesen. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist allerdings wieder die insgesamt sehr geringe Patientenzahl und der fehlende Vergleich zur relativen Rassenhäufigkeit in der gesamten Hundepopulation zu beachten.

BLACKSHAW (1991) zeigte in einer Analyse an 87 Hunden, die in einer Spezi­alklinik für Verhaltensstörungen wegen Hyperaggressivität vorgestellt wurden, daß 31,6% aller Fälle auf Dominanzverhalten beruhten, 29% auf Territorialverhalten 12,3% dem Beutetrieb zuzuordnen waren, 12,3% durch Konkurrenzverhalten zwischen Rüden und 7,9% zwischen Geschwistern entstanden. 6% der Patienten waren Angstbeißer und 0,9% zeigten idiopathische Aggressivität, also Aggressivität unbekannter Grundlage.

TERNON (1992) stellte in ihrer Untersuchung eine Statistik über Unfallsituationen zusammen und fand bei insgesamt 193 Vorfällen folgende Situationen:

 

Situation                                                                                 Anzahl Fälle

1) Opfer an Hund vorbeigegangen                                                            78

  a. davon angeleint                                                                                   30

  b. davon freilaufend                                                                                46

  c. ohne Angaben                                                                                    2

2) Kontaktaufnahme durch das Opfer                                       25

  a. durch dem Hund bekanntes Opfer                                       14

  b. durch dem Hund fremdes Opfer                                                   11

3) Besuch oder Lieferung beim Hundebesitzer                          47

4) Besuch mit dem Hund beim Opfer                                                     3

5) Eingreifen in Hundekampf                                                                23

6) Rauferei zwischen Menschen                                                        1

7) Hund wurde festgehalten oder gemaßregelt                             9

8) Hund wurde geneckt oder ihm Schmerz zugefügt                                     4

9) dem Hund wurde Futter oder Wasser weggenommen             3

Der größte Anteil an Aggressionsauslösern betrifft somit Territorialverteidigung (3), Beuteverhalten (1b) und Verteidigung (1a, 2b, 8) sowie Dominanz (2a, 7, 9)

Die Bißverletzungen durch angeleinte Hunde, an denen das Opfer vorbeigegangen war (1a), werden auf der Basis von Verteidigungsbeißen des Hundes erklärt, der sich durch Unterschreitung der kritischen Distanz bedroht fühlt, der sich der Auseinandersetzung aber durch den Zwang der Leine nicht durch Flucht entziehen kann, bzw. der sich durch die Anwe­senheit seines Besitzers gestärkt fühlt und allenfalls unbewußte Aggression des Besitzers gegen das Opfer in die Tat umsetzt (TERNON, 1992).

UNSHELM et al.  (1993) werteten in ihrer Untersuchung auch  die Unfallsituationen aus. Dabei ergaben sich folgende  Verteilungen:

Ort des Unfalls

            Unfall auf öffentlicher Verkehrsfläche                         74,8%

            Unfall in Grünanlagen                                                                 9,2%

            Unfall in öffentlichen Gebäuden                                            8%

            Unfall auf privaten Flächen, Sport- oder Spielplätzen            8%

Leine

            Hund war nicht  angeleint                                                           68,1%

            Hund war angeleint                                                                13,0%

            führerloser hund                                                                      8,7%

            keine Angaben                                                                                  10,1%

Unfallauslöser

            Hund greift ohne erkennbare Anzeichen an                            45,9%

            der Gebissene wollte eine Hunderauferei beenden                       19,3%

            der  Hund verteidigt seinen Besitzer bzw. sein Territorium 34,2%

 

In einer Studie von BANDOW (1996), in der  u.a. Bißverletzungen von Kindern ausgewertet  wurden,  zeigten sich  bei insgesamt 419  Bißvorfällen folgende  Unfallsituationen:

Kind spielt mit eigenem  oder bekanntem Hund                36,4%

Kind stört Hund beim Fressen                                        26,0%

Kind versucht Hund zu streicheln                                  11,7%

Kind betritt Revier des  Hundes                                                6,5%

Kind wird von frei laufendem Hund

im öffentlichen Gelände gebissen

                                                                                        6,5%

sonstige  Ursachen                                                         12,9%

Die meisten in dieser Studie ausgewerteten Bißverletzungen an Kindern  erfolgten durch  Hunde, die den Eltern des Kindes gehörten bzw. durch Hunde aus dem  engeren Bekanntenkreis des  gebissenen Kindes.

Als Hauptursache  für  Bißvorfälle allgemein gibt der Autor  absichtliche oder unabsichtliche Provokation des  Hundes an.

Eine Untersuchung des MMWR (1997) über Bißverletzungen mit  Todesfolge zeigt, daß  von insgesamt 23  Todesfällen  7 durch einen freilaufenden Hund  auf öffentlichem Gelände,  5 durch einen  angeleinten Hund auf dem  Grundstück des Besitzers und 11 durch einen freilaufenden Hund auf dem Grundstück des Besitzers  verursacht wurden.

Besonders kritische Unfallsituationen ergeben sich, wenn mehr als ein Hund betei­ligt ist. Wie bereits erwähnt, stellt die Anwesenheit eines zweiten Hundes einen Verstärker im Rahmen der Aggressionssauslösung dar (ZIMEN, 1992). SACKS et al. (1989) stellten fest, daß 70,4% aller Angriffe durch einen einzelnen Hund erfolgten, an 18,5% der Unfälle waren zwei Hunde und an 11,1% mehr als zwei Hunde beteiligt. TERNON (1992) fand, daß in 5,1% der von ihr untersuchten Fälle mehr als ein Hund beteiligt war. Aus einer Studie des MMWR (1997) geht hervor, daß  von insgesamt 25 Bißvorfällen  mit Todesfolge bei 16 Fällen mehr als ein Hund beteiligt war.

Nach verschiedenen Untersuchungen (WRIGHT, 1985; SZPAKOWSKI et al., 1989; PODBERSCEK und BLACKSHAW, 1990; AVNER und BAKER, 1991; SHEWELL und NANCARROW, 1991; BANDOW, 1996) fanden die meisten Beißzwischenfälle im Heim des Hundes bzw. in dessen unmittelbarer Umgebung statt. Auch TERNON (1993) stellte fest, daß ein Großteil der Beißvorfälle auf eigenem Territorium des Hundes (31,8%) bzw. in dessen unmittelbarer Umgebung (30, 6%) stattfanden. Nur 37,6% der erfaßten Hunde bissen auf fremdem Territorium. PODBERSCEK und BLACKSHAW (1990) wiesen darauf hin, daß streunende Hunde nur selten Menschen attackierten. Da nach IMMELMANN (1983) unabhängig von der Tierart die Verteidigungsbereitschaft im Zentrum des eigenen Reviers immer am größten ist und mit der Entfernung abnimmt, beruht die Häu­fung der Bißverletzungen im Heim des Hundes bzw. seiner unmittelbaren Umgebung auf natürlichem rasseunabhängigen Territorialverhalten des Hundes.

Bei den  von UNSHELM  et al.  (1993) ausgewerteten Bißvorfällen  fand ein Großteil  auf öffentlichem Gelände statt, allerdings wurden in dieser Studie auch nur solche  Vorfälle ausgewertet, bei denen der Geschädigte nach dem Vorfall  Anzeige erstattet  hatte.  Bißverletzungen von Haushaltsmitgliedern  gingen in diese Untersuchung somit aller Wahrscheinlichkeit nur in Ausnahmefällen mit ein.

TERNON (1993) untersuchte in ihrer Arbeit auch die Bedeutung der Verwendung einer Leine und stellte fest, daß von 95 Vorfällen in denen dokumentiert war, ob sich der Hund an der Leine befand, 45 Hunde angeleint waren, von denen sich 9 Tiere losrissen.

Die Untersuchung von UNSHELM et al.  (1993)  ergab, daß  ein Großteil der  Hunde, die einen Bißvorfall verursachten  nicht angeleint war.  Auch  dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß in dieser Studie  nur Vorfälle mit  anschließender Anzeige ausgewertet wurden.

 

Aggressionsfördernde Situationen ergeben sich unabhängig von der Rasse der daran beteiligten Hunde. Auf der Basis spezieller Unfallsituationen läßt sich eine besondere Gefährlichkeit bestimmter Hunderassen somit nicht zulässigerweise ableiten.

 

 

 

ad e) individuelle Merkmale des Geschädigten  

Aus diversen Untersuchungen geht hervor, daß ein  großer Teil der  Bißopfer durch den eigenen oder einen bekannten Hund gebissen wurden (AVNER und BAKER, 1991; SHEWELL and NANCARROW, 1991; BANDOW, 1996; KLAASEN et al., 1996). 

Betrachtet man die unter Punkt d) angeführten aggressionsauslösenden Unfallsi­tuationen,  zeigen sich eine Reihe von Punkten in denen das Opfer durch bewußtes oder unbe­wußtes Fehlverhalten einen Angriff auslösen kann. Nicht in jedem Fall ist Fehlverhalten des Opfers vermeidbar. Eine ganz wesentliche Möglichkeit der Gefahrreduzierung durch Hunde ist dennoch in möglichst umfangreicher Information der Bevölkerung über den Umgang mit Hun­den zu sehen. Viele Fehler sind vermeidbar, wenn man sich der Wirkung bestimmter mensch­licher Verhaltensweisen auf den Hund bewußt ist. Und ohne polemisieren zu wollen, soll an dieser Stelle doch auf die Analogie zu anderen Gefahren, denen der Mensch im Alltag ausgesetzt ist, hingewiesen werden, die sich ebenfalls durch entsprechende Information und richtiges Verhalten kontrollieren lassen.

Auf die Notwendigkeit entsprechender Informationsvermittlung  weisen auch UNSHELM et al.  (1993)  in ihrem  Maßnahmenkatalog  zur Reduzierung von  Bißvorfällen von Hunden hin (wörtliches Zitat):

"e) Vermittlung von Kenntnissen über Verhaltensinventar und Haltungsansprüche von Hunden in Kindergärten und Schulen"

Eine ähnliche Strategie zur Vermeidung von Hundebissen  schlägt der MMWR (1997) vor (wörtliches Zitat):  "Erziehungs-  und Vorsorgemaßnahmen sollen Eltern und Kinder  einbeziehen."

Dies erscheint ganz besonders wichtig, wenn  man die Ergebnisse von BANDOW (1996)  berücksichtigt, der eine Analyse des  Alters von Bißopfern machte.  Danach  verteilte sich bei insgesamt 628 ausgewerteten Vorfällen das Alter der Opfer wie folgt:

bis  6 Jahre               8,6%

7 - 12 Jahre                       15,0%

13 - 17 Jahre                    7,6%

18 Jahre und älter            68,8%

Das bedeutet, daß fast ein Drittel der Opfer Kinder bzw. Jugendliche sind. Über alle Altersklassen war der Anteil an  männlichen Opfern mit 58,2% deutlich größer als der an weiblichen Opfern.

Obwohl der Autor in seiner Untersuchung  einzelne  in Relation zu ihrem Vorkommen an Bißvorfällen  überrepräsentierte Rassen  nennt, spricht er sich doch eindeutig gegen eine rassespezifische Legislation aus. Er weist darauf hin, daß Erwachsene realisieren müssen, daß man kleine Kinder niemals unbeaufsichtigt mit einem Hund (oder einer Katze) allein lassen soll  und daß alle Kinder gelehrt werden sollen, wie man sich Hunden gegenüber verhält, ganz besonders gegenüber fremden Hunden.

GERSHMAN et al. (1994) geben einen Anteil von 51% Kindern unter 12 Jahren  an  gebissenen Personen an. Sie  empfehlen, daß  Kinderärzte  Eltern über das Risiko der Haltung eines  männlichen unkastrierten  Hundes  von Rassen wie z.B. Schäferhund oder Chow Chow aufklären.

Nach  einer Untersuchung von KLAASEN et al  (1996) waren 30% der  Gebissenen  jünger als 15 Jahre, davon waren 75% männlich; bei den Erwachsenen war der Anteil männlicher Opfer  66%. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt  RIECK (1997). Nach seiner Studie  sind 48% aller Bißopfer jünger als 15 Jahre.

In einer Australischen Studie  (Thompson, 1997)  zeigte sich, daß  bei Kindern bis 4 Jahre, das risiko gebissen zu werden, doppelt so hoch war, wie für die Altersklasse zwischen 21 und 59 Jahren. In dieser Studie zeigte sich ebenfalls, daß  bei  Männern  unabhängig  vom Alter  der Anteil  an Bißopfern um 50% höher war als bei Frauen.

CORNWELL (1997) gibt an, daß in den USA etwa 70%  aller Hundebisse Kinder betreffen, wobei 55% Knaben betroffen sind.  5 % Prozent  aller Kinder  zwischen 5 und 9 Jahren wurden bereits einmal von einem Hund gebissen.  Der Autor schätzt außerdem, daß  bei 30%  bis 50%  aller  Bißvorfälle der Hund provoziert worden war - in den meisten Fällen durch Eindringen in das Territorium des Hundes.  Die  effektivste Maßnahme  zum Schutz vor Bißverletzungen durch Hunde ist daher, sowohl Kinder als auch  Erwachsene  zu unterrichten, wie man  die Provokation eines Hundes vermeidet. Der Autor  gibt ganz konkrete Tips, wie sich Kinder gegenüber Hunden verhalten sollen.

1) Lasse streunende Hunde in Ruhe

2) Melde streunende Hunde dem nächsten Erwachsenen

3) Wenn Dir ein Hund zu nahe kommt,  bleibe  ruhig stehen, vermeide direkten

    Augenkontakt mit dem Hund und sprich mit beruhigendem Tonfall mit dem

    Hund

4) Wenn Du auf dem Boden liegst oder von dem Hund niedergestoßen worden

    bist, bleibe mit  ausgestreckten Beinen und mit dem Gesicht nach unten liegen,

    falte die Hände  im Genick und schütze mit den Unterarmen die Ohren

Ähnliche  Hinweise für richtiges Verhalten  Hunden gegenüber werden im MMWR (1997)  gegeben, in dem außerdem  ebenfalls der hohe Anteil von Kindern  unter den Opfern von Hunden  festgehalten wird. Von 25 Todesfällen durch Hunde  in den Jahren 1995 und  1996  betrafen  20  Kinder bis zum Alter von 11 Jahren.

Auch die Aggressionsauslösung durch individuelle Merkmale des Opfers ist  allenfalls  in Zusammenhang mit dem Alter und dem Geschlecht des  Opfers bzw. mit  bewußten oder unbewußten provozierenden  Handlungen des Opfers zu sehen nicht aber  in Zusammenhang mit bestimmten Rassen.

 

Eine besondere Gefährlichkeit bestimmter Rassen läßt sich somit auf der Basis individu­eller Merkmale des Opfers nicht zulässigerweise ableiten.

 

 

Definition des gefährlichen Hundes

Eine wirklich objektive Beurteilung der Gefährlichkeit eines  Hundes ist dann möglich, wenn der Hund bereits einmal oder mehrmals an Bißvorfällen beteiligt war. So berichtet WRIGHT (1985)  über 16 Hunde von insgesamt 5711 Bißvorfällen, die durch besonders schwerwiegende Angriffe auffielen und die alle bereits früher gebissen hatten.

Von ins­gesamt 60 Fällen, in denen zur Vorgeschichte Angaben gemacht wurden, waren nach TERNON (1992) nur 33,3% Ersttäter. 35% hatten bereits einmal, 6,7% zweimal 6,7% dreimal und 1,7% bereits fünfmal gebissen.

Nach UNSHELM et al.   (1993) hatten 28% der  Hunde, die einen Menschen attackiert hatten,   bereits einmal gebissen, 11,6% der Hunde waren bereits durch 3 oder mehr Vorfälle aktenkundig geworden. Unter den Hunden, die andere Hunde angegriffen hatten waren 36% Wiederholungstäter und 30,9% Serientäter.

 

Hunde, die bereits einmal oder mehrmals ohne besonderen Grund gebissen haben, sind somit unabhängig von ihrer Rassenzugehörigkeit als besonders gefährlich im Vergleich zu Hunden ohne Aggressionsvorgeschichte zu betrachten.

Diese Betrachtungsweise ist wohl auch die Basis der Definition gefährlicher Hunde, die der VDH (1991) zur Diskussion gestellt hat. Nach dieser Definition gelten als gefährlich sozial unverträgliche Hunde, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszu­gehen ist, daß sie bei Auseinandersetzungen mit Menschen oder Tieren, auch Artgenossen, beißen. Die soziale Unverträglickeit kann auf genetischer Disposition oder durch Lernprozesse hervorgerufen sein. Insbesondere gelten als gefährliche Hunde:

1. Hunde, die sich als bissig erwiesen haben.

2. Hunde, die wiederholt bewiesen haben, daß sie unkontrolliert zum Hetzen oder Reißen von Wild oder Vieh neigen.

3. Hunde, die gewohnheitsmäßig in aggressiver und damit gefahrdrohender Weise Menschen anspringen.

Diese Definition erlaubt allerdings keine a priori Einstufung eines Hundes als besonders gefährlich.

Es ist verständlich, daß der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber bestrebt ist, eine möglichst einfache und auch für Laien nachvollziehbare Möglichkeit zur Erfassung der Gefähr­lichkeit von Hunden vorzugeben. Die Nennung bestimmter, mehr oder weniger willkürlich bzw. auf der Basis von Medienvorurteilen ausgewählten Rassen, kann der eigentlichen Problem­lösung aber nicht dienlich sein. Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber übersieht bei der defi­nierten Rasseninkriminierung nämlich den wesentlichen Umstand, daß die Definition bestimm­ter Rassen als besonders gefährlich alle anderen Rassen  exkriminert, sie also de facto als nicht besonders gefährlich ausweist. Dies ist bei Berücksichtigung aller diskutierten Punkte aber nicht zulässig. Daß diese Betrachtungsweise auch auf der Basis der Gesetzgebung nicht zuläs­sig ist, hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (1992) in seinem Urteil vom 18. August 1992 entschieden. Drei Hundehalter der Rassen Mastiff bzw. Bullterrier hatten sich gegen eine Verordnung des Ministeriums ländlicher Raum, mit der u.a. ihre Rassen als "Kampfhunde" und damit besonders gefährlich eingestuft worden waren, beschwert, da sie sich gegenüber Haltern anderer Hunde diskriminiert fühlten. Der VGH gab dieser Beschwerde recht und erklärte die betreffende Verordnung in dem Teil, der bestimmte Rassen als "Kampfhunde" definiert, für nichtig. In der Entscheidung des VGH wird bean­standet, daß der Verordnungsgeber bei der Erfassung der "Kampfhunderassen" ohne sachli­chen Grund Gleiches ungleich behandelt und damit gegen das verfassungsrechtliche Gleichbe­handlungsgebot verstoßen hat. Zwar stehe dem Verordnungsgeber bei Erlaß einer solchen Verordnung ein weiter Gestaltungs- und Ermessensspielraum zu, dieser ermächtige ihn jedoch nicht, aus der Gesamtzahl der potentiell gefährlichen Hunderassen einige Hunderassen heraus­zugreifen und mit den einschränkenden Maßnahmen der Verordnung zu belegen, andere Hun­derassen hingegen, bei denen sich nach der Sachlage aufdränge, daß sie den von der Verordnung erfaßten in der Gefährlichkeit vergleichbar sind, ohne ausreichenden Grund nicht miteinzube­ziehen.

Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber steht somit vor dem zugegebenerweise schwer lösbaren Problem, auf der einen Seite dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nach­zukommen, auf der anderen Seite aber keine wissenschaftlich abgesicherten Erkenntnisse zu einer einfachen und unkomplizierten Definition eines gefährlichen Hundes zur Verfügung zu haben.

Daß die  Definition bestimmter Rassen als "besonders gefährlich"  nicht zielführend in Hinblick auf einen besseren Schutz der Bevölkerung ist, zeigt eine Studie aus Großbritannien  (KLAASEN et al., 1996), in der die  Verteilung der an Bißvorfällen beteiligten  Hunderassen  vergleichend vor Implementierung des "Dangerous Dog Act" und  2 Jahre nach dessen Implementierung  untersucht wird.  Obwohl sich  die Reihenfolge der am häufigsten beteiligten Hunderassen etwas verschob  (vor dem "Dangerous Dog Act" war der Deutsche Schäferhund  der Spitzenreiter gefolgt   vom Mischling,  zwei Jahre danach lag der Mischling an der Spitze gefolgt vom Deutschen Schäferhund) änderte sich nichts wesentliches an der Rassenverteilung. Der Anteil von Hundebissen  an Bißverletzungen insgesamt  änderte sich von 73,9% vor Einführung des "Dangerous Dog Act" auf 73,1% danach.  Die im "Dangerous Dog Act" als "gefährlich"  definierten Rassen  waren vor seiner Implementierung für insgesamt 6,1% aller Bißvorfälle verantwortlich, danach  verschuldeten sie insgesamt 11,25%  aller  Bißverletzungen. Die Autoren schließen daraus, daß  der "Dangerous Dog Act" wenig  gebracht hat in Hinblick auf einen besseren Schutz der Bevölkerung vor Hundeangriffen.

Die oben zitierte Definition des gefährlichen Hundes durch den VDH stellt eine Kompromißlösung dar, die dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber ermöglicht, für  Hunde, die sich tatsächlich als besonders ge­fährlich erwiesen haben, entsprechende Auflagen bzw. Sicherheitsvorkehrungen anzuordnen.

Diese Kompromißlösung findet sich auch bereits in aktuellen Gesetzen. So werden in der Polizeiverordnung über das Halten von Hunden der freien Hansestadt Bremen vom 16.11.1992 (FREIE HANSESTADT BREMEN, 1992) gefährliche Hunde in § 1 der Verordnung wie folgt definiert:

1) Als gefährlich gelten Hunde, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, daß sie Menschen oder Tiere beißen sowie Hunde, die bereits Menschen oder Tiere gefährdend angesprungen sind oder gebissen haben. Als gefährlich gelten ebenfalls Hunde, die außerhalb des Jagd- oder Hütebetriebes zum Hetzen oder Reißen von Wild und Vieh neigen.

2) Hunde gelten nicht als gefährlich, wenn sie zur Verteidigung ihrer Aufsichtsperson oder zu ihrer eigenen Verteidigung gebissen haben.

Bemerkenswert in diesem Gesetzestext ist, daß dem Hund das Recht zur Notwehr eingeräumt wird, daß also Verteidigungs- und Schutzaggression als artspezifisches Normalverhalten gewertet wird.

In der am 21.9.1994 verordneten GefHuVO NW (Ordnungsbehördliche Verordnung über die Zucht, die Ausbildung, das Abrichten und das Halten gefährlicher  Hunde des Landes Nordrhein Westfalen)  (KLINDT, 1996)  wird bewußt auf die Aufzählung bestimmter hunderassen, die als gefährlich anzusehen sind, verzichtet. Nach dieser Verordnung  sind Hunde als gefährlich anzusehen, wenn sie

a) als Ergebnis einer gezielten Zucht eine Angriffslust, Kampfbereitschaft oder

    Schärfe besitzen, die über das  natürliche Maß hinausgehen.

b) wenn sie sich wiederholt als bissig erwiesen haben

c) wenn sie wiederholt in gefahrdrohender Weise Menschen anspringen

d) wenn sie wiederholt bewiesen haben, daß sie unkontrolliert Wild, Vieh, Katzen          

    oder hunde hetzen oder reißen.

Zu beachten ist,  daß entsprechend dieser Definition dem  Hund als Art ein gewisses "natürliches Maß"  an Angriffslust, Kampfbereitschaft und Schärfe zugestanden wird.

Eine entsprechende Verordnung aus Minnesota (USA) (MINNESOTA STATUTES, 1996) differenziert zwischen gefährlichen Hunden und potentiell gefährlichen Hunden. 

So gilt ein Hund  als potentiell gefährlich,  wenn er

1) ohne Provokation Menschen oder Haustiere auf öffentlichem oder privatem

    Grund gebissen hat

2) ohne Provokation  einen Menschen, inklusive Radfahrer  jagt oder  ihn

   attackiert  und zwar auf öffentlichem oder privatem  Grund (ausgenommen

   dem  Privatgrund des hundebesitzers)

3) eine bekannte  Neigung, Tendenz oder Disposition  zu unprovozierten

   Attacken hat, die zu Verletzungen  oder zum Erschrecken von Menschen oder

   Haustieren  führen.

Ein Hund ist als gefährlich anzusehen wenn er

1) ohne Provokation  einen Menschen auf öffentlichem oder privatem Grund

    schwer verletzt

2) ohne Provokation ein  Haustier  auf öffentlichen Grund tötet

3) als potentiell gefährlich eingestuft war  und, nachdem dem Besitzer die

   potentielle Gefährlichkeit seines hundes bekannt  war, Menschen oder

   Haustiere gebissen, aggressiv attackiert oder gefährdet hat.

Es ist beachtenswert, daß  dieser Gesetzestext wissenschaftlichen Erkenntnissen insofern entspricht, als eine  Provokation des  Hundes,  die nach BANDOW (1996) und CORNWELL (1997) eine der wesentlichen Ursachen für einen Angriff darstellt,  einen  Angriff  sozusagen entschuldigt. 

Eine a priori Beurteilung eines Hundes als besonders gefährlich ist, bei Berücksichtigung aller diskutierten Umstände, die im Einzelfall zu einer Gefährdung eines Menschen durch einen Hund führen, wenn überhaupt, nur durch einen erfahrenen Ethologen möglich.

Im Rahmen der tierärztlichen Ausbildung ist Ethologie als Pflichtfach nicht vorgesehen (Vorlesungsverzeichnis Veterinärmedizinische Universi-täT wien, 1997).

Angeboten werden die Wahlfächer

"Ethologie und Ethopraxis" (2 Wochenstunden )

"Filmbeispiele zur Ethologie" (2 Wochenstunden)

"Verhalten und Verhaltensstörungen beim Hund" (1 Wochenstunde)

Eine ethologische Ausbildung ist bei einem Tierarzt (Amtstierarzt) daher nicht in jedem Fall vorauszusetzen, nur bei entsprechendem persönlichem Interesse während des Studi­ums wird das entsprechende Wahlfach besucht.

 

 

Zusammenfassend läßt sich auf der Basis der besprochenen Literatur festhalten, daß Hunde zwar grundsätzlich ein  Gefährdungspotential  für Menschen und  andere  Tiere darstellen, daß die Gefahr, die von einem Hund ausgeht aber in keinem objektivierbaren Zusammenhang   mit seiner Rassezugehörigkeit   steht und sich auch nicht a priori  mit ausreichender Sicherheit feststellen läßt. 


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